Tanzen macht Sinn: Illham, alias M.G.

Tanzen macht Sinn

Wenn die quirlige 25 Jährige mit dem Lockenkopf über das Tanzen spricht, leuchten ihre Augen und sie sprüht vor Energie. Für Ilham – genannt M.G. – macht der Unterricht von Tanz allerdings nicht nur Spaß, sondern hat auch einen sozialen Sinn. TEXT: Rieke Leemhuis. FOTOS: Anne Oschatz.

Ilham wächst in einer traditionellen marokkanischen Familie auf. Kindheit und Jugend sind alles andere als leicht. Es gibt Gewalt und Streit innerhalb der Familie, in der Schule wird sie gemobbt. Ihre Rückzugsmöglichkeit und die Quelle ihrer Kraft ist das Tanzen. Als Zwölfjährige beginnt sie in ihrem Zimmer heimlich die Schritte aus den Videoclips von Janet und Michael Jackson zu üben. Ihr kleines Geheimnis gibt ihr Freiheit und Selbstbewusstsein. Mit 18 bricht Ilham mit ihrer Familie, es gibt sechs Jahre keinen Kontakt. In dieser Zeit wächst in ihr der Wunsch auch anderen durch Tanzen Kraft und Mut zu geben. Mittlerweile gibt sie seit 7 Jahren Kurse für Breakdance und Newstyle (HipHop), zum Beispiel im Schorsch in St. Georg.

Mit Tanzunterricht die Welt bewegen

M.G möchte mit ihrem Unterricht „die Welt bewegen, auch wenn es nur ein Millimeter ist“. Ihre Erfahrungen haben der jungen Frau gezeigt, dass der Tanzunterricht das Leben der Schüler verändert. Probleme mit Drogen, Gewalt oder Schwierigkeiten in der Familie rücken während des Tanzens in den Hintergrund. Der regelmäßige Unterricht und die Erfolgserlebnisse geben Halt und eröffnen eine Perspektive.

Auch Tanzfilme wie „Streetstyle“ oder Projekte wie „Step it up“ und „Rhythm is it“ zeigen, dass Tanzen nicht nur Spaß macht, sondern auch Biographien beeinflussen kann. Mittlerweile wird auch auf wissenschaftlicher Seite der Zusammenhang von Tanzunterricht und sozialer Arbeit diskutiert. Fest steht: Durch Tanzen wird die Selbstwahrnehmung und das Selbstbewusstsein gestärkt. Der regelmäßige Unterricht gibt Struktur und erfordert Disziplin. Und vor allem fördert das Tanzen in der Gruppe Team-Geist und Sozialkompetenz.

Tanzen macht Sinn: Illham, alias M.G.

Das ist UNSERE Choreographie!

Es gibt zahlreiche Schulen, auf denen man für viel Geld lernen kann zu tanzen. Für M.G. geht es dort aber oftmals nur darum „etwas auswendig zu lernen, das einem gezeigt wird“. M.G. aber möchte, dass die Kids eigenständig Ideen entwickeln und auch lernen diese Ideen umzusetzen. Sie sollen am Ende sagen können: „Das ist unsere Choreographie!“ und nicht: „Ja, die habe ich von M.G. gelernt“.

Ilham ist eine unterstützende Begleiterin bei diesem Prozess. In den Tanzstunden flitzt sie herum, wippt zum Takt, leistet Hilfestellungen oder ist Ideengeberin für einzelne Tanzschritte. Ihr Unterricht basiert vor allem auf dem Prinzip des gegenseitigen Helfens. Wenn jemand einen Schritt eingeführt hat, kann er ihn den anderen zeigen. So entsteht Teamarbeit, Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl für die anderen.

Frei bewegen und klare Regeln

Die Atmosphäre während der Tanzstunden ist locker und freundschaftlich. Aber es gibt klare Regeln: der Besitz oder der Konsum von Drogen ist untersagt, außerdem Gewalt, Beleidigungen und Respektlosigkeit. Wer die Regeln mehrfach missachtet, wird vom Tanzunterricht ausgeschlossen.

Innerhalb der gegebenen Regeln allerdings, sollen sich die Kinder und Jugendlichen wahrnehmen, austoben und auch an körperliche Grenzen gehen. Denn Zuhause sind viele angepasst, brav und unkörperlich. Das gilt im Übrigen für (fast) alle Altersklassen. Dabei gibt es ein einfaches Mittel gegen innere und äußerliche Beschwerden: Tanzen löst körperliche Verspannungen und baut gleichzeitig auch emotionale Barrieren ab.

Tanzen macht Sinn: Illham, alias M.G.

Vertraute und Vorbild

Für die Jugendlichen ist M.G. oft mehr als eine Tanzlehrerin, sie ist Vertraute, Ratgeberin und Vorbild. Die junge Frau wird auch schon mal angerufen und es heißt „Ich habe Hausarrest, ich darf nicht kommen. Kannst du nicht mit meiner Mum reden?“ Ilham tut das. Sie spricht mit den Eltern und schlägt ihnen vor, sich ein anderes Bestrafungsmittel auszudenken und den Kids nicht das Tanzen zu nehmen.

„Mittlerweile haben die Eltern es verstanden und jetzt heißt es dann: es gibt kein Internet oder kein Fernsehen“, anstatt „Du darfst nicht zum Tanzunterricht.“ M.G. begegnet den Jugendlichen mit Respekt, Freundlichkeit und der nötigen Strenge. Und vor allem merken ihre Schüler, dass Ilham weiß wovon sie spricht, dass sie ihre Probleme verstehen kann und ihnen helfen, sie motivieren und stärken möchte.

Auf die Frage nach den Gründen für ihre soziale Ader antwortet M.G. : „Ich glaube, weil ich damals auch viel Hilfe gebraucht habe. Mit 18 habe ich mich von zu Hause verabschiedet, stand dann alleine da. Ich habe dann im Frauenhaus gewohnt und habe dort viel Aufmerksamkeit bekommen, von den anderen Frauen und den Mitarbeitern. Die haben mich gepusht. Weil mir geholfen wurde, möchte ich auch helfen. Dadurch, dass man von jemandem in einer schweren Zeit unterstützt wurde, möchte man das zurückgeben.“

Tanzen macht Sinn: Illham, alias M.G.

Zukunftsperspektive: Tanzunterricht und Sozialarbeit

Seit August 2013 gibt M.G. Tanzkurse an einem ungewöhnlichen Ort, der JVA Hahnöversand. Einmal in der Woche bringt sie für drei Stunden Abwechslung in den Gefängnisalltag der inhaftierten 17- bis 20-Jährigen. Ilham liegt die Zusammenarbeit mit schwierigen Fällen. Ihre offene, direkte aber trotzdem respektvolle Art kommt an, auch bei den schweren Jungs.

Die Zukunftsperspektive? Ilham möchte ihre pädagogischen Kenntnisse vertiefen und ein Studio- Konzept erstellen, das Tanzen und Sozialarbeit miteinander vereint. Für die junge Frau geht es auch darum, weiterhin denjenigen eine Chance zu geben, die finanziell nicht gut gestellt sind. M.G. möchte ein Teil des Lebens ihrer Schüler werden, als eine Vertraute, die Orientierung und Halt gibt in schwierigen Zeiten und abseits von gradlinigen Lebensläufen.

Über die Autorin
Rieke Leemhuis

Die freie Journalistin beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Gesellschaft, Ernährung,  Regionalität, Umwelt, Bildung und Nachhaltigkeit. In ihrem Blog www.mygreenhood.de zeigt sie seit Anfang 2011 unter dem Slogan „United and Share“ nachhaltige Ideen einer wachsenden, grünen Nachbarschaft. Darunter neue Konzepte des Lebens, Wirtschaftens und Arbeitens, öko-soziale Projekte und verschiedene Ideen für Do-it-yourself und Upcycling.

Über die Fotografin
Anne Oschatz

Die Hamburger Fotografin hat sich auf Porträt-Fotografie spezialisiert. Dabei zeigt sie die Menschen viel lieber in ihrer eigenen Umgebung als im Studio. Ihre Bilder wurden unter anderem in der taz, der Brigitte, dem Straßenmagazin Hinz&Kunzt und dem Rolling Stone veröffentlicht. Neben Auftragsarbeiten für Firmen, Musiker und Künstler engagiert sie sich regelmäßig für gesellschaftliche Themen. In einem Interview hat sie uns mehr von sich verraten. Weitere Infos und Bilder finden sich auf www.anneoschatz.de 17. Dezember 2013 von Redaktion

Kategorien: Hamburg trainiert, Sportbegeisterung

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