Mein Hamburg: Isabella Vértes-Schütter

Was lieben die Hamburger an ihrer Stadt – und was nicht? Was bewegt ihr Leben oder was wollen sie bewegen? Menschen erzählen über ihre Leidenschaften, Lieblingsorte und ihr Leben in unserer Metropole. Wir fragen Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und Abgeordnete der Bürgerschaft.

In Hamburg geboren und aufgewachsen, ist Isabella Vértes-Schütters Bindung an die Stadt groß – und ihre Leidenschaften sind vielfältig. Sie studiert Medizin und nimmt parallel Schauspielunterricht. Bei einem Engagement am Ernst Deutsch Theater lernt sie ihren späteren Ehemann Friedrich Schütter kennen. Nach dessen Tod übernimmt sie 1995 die Intendanz des Ernst Deutsch Theaters. Als Bürgerschaftsabgeordnete ist Isabella Vértes-Schütter auch politisch aktiv und engagiert sich in vielen Projekten ehrenamtlich.

Sie stammen aus Hamburg, arbeiten hier als Intendantin des Ernst Deutsch Theaters, sind aber auch als Politikerin tätig. Wie sehen sie die Stadt?

Sicherlich dadurch, dass ich hier aufgewachsen bin, habe ich eine ganz enge Bindung zu meinem Hamburg. Gerade wenn ich andere Städte bereise, stelle ich immer wieder fest, dass wir hier eine große Weltoffenheit haben. Ich erlebe Hamburg als eine Stadt, in der sehr viele Menschen für eine offene Gesellschaft eintreten. Leider ist auch bei uns die AFD im Parlament vertreten, zwar anders als in anderen Bundesländern nur mit sieben Prozent, aber trotzdem deutlich spürbar und das besorgt mich sehr. Hamburg ist für mich bunt, vielfältig und frei und ich möchte, dass die Stadt sich so weiterentwickelt. Wir haben in den vergangenen Jahren 50 000 geflüchtete Menschen in Hamburg aufgenommen und ich finde, das haben wir gut gemacht.

Wie ist es um Hamburg als Theaterstadt bestellt?

Wir haben unglaublich viele Theater in unserer Stadt: die großartigen Staatstheater, die Oper, Kampnagel und eine bundesweit einzigartige Privattheaterszene. Wir haben auch eine sehr lebendige freie Szene, die gerade mit dem letzten Doppelhaushalt eine deutliche Erhöhung der Förderung bekommen hat, auch wenn es da immer noch Luft nach oben gibt. Was ich als Theaterleiterin des Ernst Deutsch Theaters hier in der Stadt sehr schätze, ist die große Kollegialität unter den Theaterschaffenden. Wir sind im Hamburger Theater e. V. gemeinsam unterwegs, gestalten zusammen die Theaternacht und haben mit theater-hamburg.org einen gemeinsamen Internetauftritt. Natürlich sind wir auch Konkurrenten, aber wir ziehen an einem Strang, um die Theaterszene hier in Hamburg voranzubringen und deutlich zu machen, in was für einer Gesellschaft wir leben möchten. So haben wir uns auch gemeinsam mit dem Aufruf „Wir sind viele – Gegen Rassismus und Diskriminierung“ auf den Weg gemacht, um für eine offene, diverse Gesellschaft einzutreten.

Was macht Spaß am Theater?

Alles! Die Chance, gemeinsam Produktionen zu entwickeln und umzusetzen, ist ein großes Glück. Ich liebe es, darüber nachzudenken, welche Geschichten man auf die Bühne bringen kann und welche Menschen man zusammenbringen kann, um diese Geschichten zu erzählen. Wie erreicht man mehr Diversität im Ensemble, wie kann man mehr Partizipation organisieren, wie bekommt man Barrierefreiheit hin? Diese Fragen finde ich spannend! Außerdem ist es für mich wichtig und eine große Freude, auch als Schauspielerin auf der Bühne zu stehen. Das ist mein Weg ins Theater gewesen, bevor ich in die Theaterleitung hineingewachsen bin. Ich brauche die Erfahrungen im Ensemble, mit dem Regieteam und dem Publikum. Und nicht zuletzt finde ich es besonders beglückend, junge Menschen an das Theater heranzuführen und ihnen zu vermitteln, was Theater vermag. Denn Theater, bei dem so viele Menschen etwas gemeinsam gestalten und sich dann auch noch mit einem Publikum verbinden, ist wohl die sozialste Kunstform, die wir haben.

Sie kommen aus einem Künstlerhaushalt. Da lag der Weg zur Bühne ja eigentlich nicht fern. Trotzdem haben Sie Medizin studiert.

Der Weg zur Bühne stand für mich nie infrage, bis er mir plötzlich versperrt erschien, als ich als Jugendliche sehr krank wurde. Damals habe ich mich damit auseinandergesetzt, was es bedeutet, gesund oder krank zu sein, zu leben oder zu sterben. Auch wenn ich eher den geisteswissenschaftlichen Fächern zugeneigt war, habe ich mich damals für ein Medizinstudium entschieden. Ich hatte immer ein großes Interesse an Menschen und ich wollte etwas Sinnvolles tun. Auch im Theater geht es um Menschen, ihre Geschichten, ihre Schicksale und um gesellschaftliche Zusammenhänge.

Das Ernst Deutsch Theater ist ein Theater mit langer Tradition und Renommee. Nach welchem Leitsatz führen Sie das Theater und wie entsteht der Spielplan?

Es geht uns darum, gesellschaftlich relevante Themen auf die Bühne zu bringen und das Publikum zum Gespräch darüber einzuladen. Theater ist ein öffentlicher Raum und wir wollen die Menschen anregen, sich diesen auch zu eigen zu machen. Die Wege zu einem Spielplan sind immer sehr unterschiedlich. Manchmal kommen Schauspieler mit einem Projekt auf einen zu, manchmal sind es Regisseure, die Vorschläge machen. Man liest viele neue Stoffe, die von Verlagsseite an einen herangetragen werden, ist mit Autoren im Gespräch. Man spürt eine Notwendigkeit für bestimmte Stoffe und das verdichtet sich zu einem Spielplan. Vieles muss man wieder verwerfen, denn wir bringen pro Spielzeit im Abendspielplan nur sieben Stücke heraus. Manches Projekt hat einen Vorlauf von zwei oder drei Jahren. Gerade suchen wir nach einem Stoff, mit dem wir die Situation der schwarzen Menschen in unserer Gesellschaft einmal beleuchten können.

 

„Der Fall Furtwängler“ von Ronald Harwood auf der Bühne des Ernst Deutsch Theaters

Sie haben ja noch eine Aufgabe. Neben der Theaterleitung sind Sie auch Abgeordnete der Bürgerschaft.

In der Bürgerschaft bin ich im Wissenschafts-, Gesundheits-, und Kulturausschuss, dort auch kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Das würde sich ohne Digitalisierung nicht machen lassen. Denn ich kann natürlich, wenn ich im Rathaus bin, mal auf etwas reagieren, was das Theater betrifft, und umgekehrt. Über die Arbeit im Rathaus habe ich Hamburg noch mal neu kennengelernt, gerade auch mit vielen Problem- und Fragestellungen, mit denen ich sonst gar nicht in Berührung gekommen wäre. Das befruchtet auch die Arbeit im Theater, wenn man den Anspruch hat, auf der Bühne gesellschaftlich relevante Themen zu behandeln. Andererseits kann ich vieles bewegen, weil ich die Kulturszene sehr gut kenne und selber als Kulturschaffende aktiv bin. Es ist ja auch der Sinn des Teilzeitparlaments, dass jeder seine Kompetenz einbringt. Natürlich ist beides zusammen viel Arbeit, aber gerade jetzt in der Auseinandersetzung mit den Kräften, die unsere offene Gesellschaft und unsere Demokratie angreifen, empfände ich es als falsches Zeichen, dafür nicht zur Verfügung zu stehen. Das könnte ich mit mir gar nicht in Einklang bringen.

Und dann haben Sie auch noch Zeit, ehrenamtlich zu arbeiten, etwa als  Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kinder-Hospiz Sternenbrücke?

Als die Initiatoren des Kinderhospiz-Projektes 1998 auf mich zugekommen sind und ihnen eigentlich alle Türen verschlossen waren, wollte ich gerne zunächst als Schirmherrin mithelfen, dieses Projekt auf den Weg zu bringen. Als Ärztin wusste ich ja, worum es geht. So ein großes Engagement wie für die Sternenbrücke könnte ich nicht noch für eine andere Einrichtung leisten, aber Ich nehme auch andere ehrenamtliche Aufgaben wahr, etwa bei der Patienteninitiative für barrierefreie Praxen oder beim Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes , bei dem es um letzte Wünsche geht. Außerdem liegt mir der Bertini-Preis für junge Menschen mit Zivilcourage sehr am Herzen.

In vielen Bereichen werden Sponsoren immer wichtiger, auch beim Ernst Deutsch Theater?

Wir sind mit unserem Freundeskreis darauf angewiesen, Spenden einzuwerben. Es ist immer ein weiter Weg, eine Summe von mindestens 150.000 Euro pro Spielzeit für einen ausgeglichenen Wirtschaftsplan zusammenzubekommen. Aber wir haben einige Stiftungen an unserer Seite, besonders für die Arbeit in der Jugendsparte, die wir ohne diese Unterstützung gar nicht leisten könnten. Auch die Sparda-Bank ist schon sehr lange als Partner an unserer Seite, obwohl sich das Konzept ihres Sponsorings stärker auf Sport und soziale Projekte focussiert. Die Verantwortlichen fühlen sich dem Ernst Deutsch Theater verbunden, laden gerne ihre Kunden zu uns ein und vergeben auch den Sparda-Bank Award für gemeinnützige Projekte in unserem Haus.

Wie sieht Ihre Zukunftsvision fürs Theater aus?

Ich wünsche mir, dass sich die Diversität, die wir in der Gesellschaft vorfinden, hier im Theater stärker widerspiegelt. Das Bild auf der Straße ist viel diverser als in unseren Ensembles, in der Belegschaft und im Publikum. Außerdem wünsche ich mir weiterhin, dass sich alle Generationen bei uns im Publikum treffen. Daran arbeiten wir seit vielen Jahren intensiv und sind schon große Schritte voran gekommen.

Hat dazu die Jugendsparte beigetragen?

Die Vernetzung läuft in beide Richtungen. Auf Poetry-Slams sind inzwischen auch unsere Abonnentinnen und Abonnenten neugierig geworden. Andere kommen zur Werkstatt der Kreativität und zum Bundesjugendballett, obwohl sie sonst kein Ballettpublikum sind. Und das junge Publikum, das Theater über unsere Jugendsparte plattform kennenlernt, ist auch in den Abendstücken präsent. Manche Schülerinnen und Schüler bringen ihre Eltern mit, die sonst nicht ins Theater gehen würden. Aktuell stelle ich fest, dass junge Menschen besonders an Stücken mit politischen Inhalten interessiert sind.

Was wünschen Sie sich für die Stadt?

Ich glaube, dass es darauf ankommt, wie Prozesse gestaltet werden. Wir müssen das Wachsen der Stadt miteinander aushandeln und uns bei widerstreitenden Interessen um einen Ausgleich bemühen. Hamburg muss attraktiv bleiben, die Lebenskosten müssen bezahlbar sein, wir brauchen eine gute Infrastruktur. Das sind riesige Themen. Ich glaube aber, dass gerade Kultur den Zusammenhalt in der Gesellschaft ermöglicht. Wir brauchen Orte, an denen Diskurse geführt werden können. Die offene Gesellschaft ist das, worum es geht. Sie darf nicht zur Disposition stehen.

Wohin lockt es Sie in Hamburg als Privatperson?

Wasser ist meins. Ich gehe an die Alster, muss aber trotzdem ab und zu an die Elbe. Ich bin gerne zwischen Altonaer Balkon und Teufelsbrück unterwegs.

Haben Sie ein Lebensmotto, Lieblingszitat, Lieblingsschnack?

In meiner Familie gab es ein angeblich ungarisches Sprichwort, das auch ich mir zueigen gemacht habe: „Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache immer die Hauptsache bleibt.“

 

 

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Autorin: Herdis Pabst
Titelfoto: Isabella Vértes-Schütter © Ulrike Schmidt / Ernst Deutsch Theater
Foto: Szene aus ˮDer Fall Furtwängler“ © Oliver Fantitsch / Ernst Deutsch Theater

6. Februar 2019 von Redaktion

Kategorien: Hamburg inszeniert, Kulturgenuss, Mein Hamburg

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