Mein Hamburg: Stevan Paul

Was lieben die Hamburger an ihrer Stadt – und was nicht? Was bewegt ihr Leben oder was wollen sie bewegen? Menschen erzählen über ihre Leidenschaften, Lieblingsorte und ihr Leben in unserer Metropole. Wir fragen den Koch und Autor Stevan Paul

Zwischen Allgäu und Bodensee aufgewachsen, lebt Stevan Paul nun schon seit mehr als zwanzig Jahre in Hamburg. Der gelernte Koch arbeitet als freier Journalist für Magazine und Tageszeitungen, schreibt Reisereportagen, entwickelt Rezepte für Zeitschriften, kreiert Kochbücher und veröffentlichte gerade mit ˮkochen“ ein neues Standardwerk. Mit NutriCulinary führt er eines der meistgelesenen kulinarisches Online-Magazine im deutschsprachigen Raum.

Sie leben ja schon eine Weile in Hamburg. Wie blicken Sie auf die Stadt?

Ich bin vor über zwanzig Jahren über Berlin vom Bodensee hier hergekommen und geblieben. Hamburg ist mir Heimat geworden, das spüre ich immer dann ganz besonders, wenn ich von Reisen zurückkehre. Ich schätze an Hamburg die weltoffene, dabei unaufgeregte Besonnenheit, die diese Stadt prägt. Dass es allerdings zu Beginn der Gesundheitskrise auch in unserer Stadt zu Nudel- und Klopapier-Hamsterkäufen kam, hat mich doch etwas überrascht. (lacht)

Ihr Thema ist Kochen. Wie beurteilen sie die Gastro-Szene der Stadt?

Wir haben in Hamburg das große Glück, in einer Stadt mit vielen ˮRestaurants der zweiten Reihe“ zu leben, mit Gastgeber*innen, die zum Wohl ihrer Gäste unprätentiös und auf hohem Niveau einfach gut kochen. Unsere Sterne-Restaurants sorgen dazu für die besonderen Stunden und die internationale Strahlkraft, die auch Hamburg als Touristik-Stadt so dringlich braucht!

Was wünschen Sie sich für die Restaurants in diesen Zeiten?

Unbürokratische Hilfe der Politik ist immer noch nötig, die Gastronomie trifft die Krise existenzbedrohend. Hier ist eine bedingungslose finanzielle Soforthilfe gefragt und Steuernachlässe anstelle von Stundung und Aufschiebungen. Voraussetzung dafür wäre, dass die Politik begreift, dass Genuss nicht Dekadenz, sondern Gesundheit bedeutet, dass Gastronomie ein Kulturgut und Wirtschaftsmotor ist. Da sehe ich auch auf Bundesebene noch erheblichen Nachholbedarf. Im Moment kann jeder helfen und den Appell der Hamburger Gastronomie unterstützen.

Sind Sie selbst betroffen?

Sehr viel weniger als andere Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt und aus anderen Berufsgruppen, die aktiv die Dinge am Laufen halten müssen. Als Journalist und Kochbuchautor sehe ich meine Aufgabe auch darin, in den sozialen Medien oder auf meiner Website eine ganz praktische Kochhilfe anzubieten, darunter auch Tipps zu einer kulinarischen Bevorratung. Da gibt es viele Rezepte, auch mit Bezug auf saisonales Gemüse wie Spargel, die mit wenigen Zutaten einfach nachkochbar sind.

Sie haben Koch gelernt, kochten sogar eine Zeit lang in Sterne-Küchen, haben dann aber den Herd gegen die Schreibmaschine getauscht. Wie sind Sie zum Kochen gekommen?

Eine Mathe-Schwäche erschwerte meine Gymnasialzeit doch erheblich. Ich komme zudem aus einem Elternhaus, in dem Kochen und Genuss gepflegt wurden. Und so war bald klar: Ich mache eine Kochlehre! Meinen ursprünglichen Berufswunsch, ich wollte schon als Jugendlicher eigentlich Journalist werden, habe ich mir dann über einen langen, aber eben auch schönen und lehrreichen Umweg doch noch erfüllen können. Das ist etwas, das ich auch immer wieder ehrgeizigen Eltern rate: Es müssen nicht alle Kinder studieren, ein Handwerk kann der solide Einstieg für eine spannende berufliche Laufbahn sein, der es an Basis nicht mangelt.

Inzwischen schreiben Sie Kochbücher und entwickeln Rezepte, aber schreiben auch Literatur. Was begeistert Sie an dieser Arbeit?

Egal, ob als Autor literarischer Bücher, als Reisejournalist, Restaurantkritiker oder eben Kochbuchautor – im Zentrum meiner Arbeit steht immer die Kulinarik in allen Facetten. Ich bin sehr dankbar, dass ich meine Berufung zum Beruf machen konnte.

Wie finden Sie Ihre Themen?

Ich beschäftige mich tatsächlich ununterbrochen mit kulinarischen Themen, lese alles, reise extrem viel und bin furchtbar neugierig. Da ich selbst Koch gelernt habe, gelingt der Einstieg in die Gespräche mit Kolleg*innen immer besonders einfach und auf Augenhöhe, das weiß ich sehr zu schätzen.

Sie beschäftigen sich auch mit fremden Küchen, zum Beispiel Japan. Welche Entdeckungen machen Sie, wenn Sie andere Esskulturen ergründen?

Immer wieder überrascht mich, wie stark wir doch in unseren Grundbedürfnissen vereint sind, uns ähneln. Japan ist ein gutes Beispiel: Die dort wirklich gelebte, Jahrhunderte alte Philosophie, dass Bauer und Koch symbiotisch arbeiten, dass nur beste Produkte ein gutes Gericht ergeben, dazu die Aspekte nachhaltiger Achtsamkeit in der Küche und bei Tisch – all das sind mögliche Antworten auf ganz aktuelle Fragen und Herausforderungen unserer Zeit.

 

Was ist der beste Weg, wenn man zuhause gut, aber nicht allzu aufwendig kochen will?

Gute Produkte. Dann kann schon eine gekochte Kartoffel mit Butter und Salz ein königliches Essen sein. Wenige Zutaten, sich herantasten, sich nicht verrückt machen und überfordern. Sonnenwarme Tomaten mit Olivenöl und Basilikum sind ein Gericht – und was für ein Gutes! Kochen ist Individualität, Kochen unterliegt Regeln, die aber lustvoll auch auf den Kopf gestellt werden dürfen. Es geht erst mal grundsätzlich nur um ihren eigenen Geschmack. Darin liegt die große Freiheit des Kochens.

Welche Tipps haben Sie gerade jetzt , wo alle sich Zuhause verpflegen müssen?

Nehmen Sie sich Zeit fürs Kochen, jetzt haben Sie die Zeit. Das ist die große Chance, dass wir im unfreiwilligen Hausarrest endlich ganz ohne Ablenkung erfahren können, dass Kochen nicht Arbeit ist, sondern Wellness pur, das Schnippeln und Vorbereiten, das Rühren und Kneten eine herrlich meditative Angelegenheit! Noch besser mit guter Lieblingsmusik und einem guten Glas Wein – das schafft keine Yogastunde.

Wie steht es um die traditionelle Hamburger Küche?

Ich hatte das große Glück über die Großmutter meiner Frau die traditionelle Küche Hamburgs und Schleswig-Holsteins mit Tiefgang kennenzulernen. Ich liebe Schnüsch, den ˮGroßen Hans“, Steckrübeneintopf und Labskaus. Schade find ich, dass wir kaum mehr eine gastronomische Esskultur für diese Traditionsgerichte haben, die heute, wenn überhaupt, nur noch Zuhause gekocht werden. Auf Reisen genieße ich es anderswo sehr, die Stadt, die Region, die kulinarische Tradition zu erschmecken. Die Hamburger Küche dürfte gerne selbstbewusster auch auf modernen Speisekarten auftauchen.

Was würden Sie sich für Hamburg wünschen?

Geht es der Stadt gut, geht es auch der Gastronomie gut. Nicht nur deshalb wünsche ich mir für Hamburg, dass die hohe Lebensqualität, die wir alle hier genießen, erhalten und weiterentwickelt wird – mit frischen Ideen, auch abseits wirtschaftlicher Interessen. Eine lebenswerte Stadt für alle Menschen, mit sozial-politischer Intelligenz gerade auch in den wichtigen Bereichen Bildung, Kultur und Natur.

Welchen Ort in der Stadt mögen Sie besonders?

Ich schlendere gerne durch unser Quartier, Eimsbüttel, die Hoheluft, das Falkenried –  nicht nur entlang des Eppendorfer Wegs finden sich überall kleine Läden und nette Restaurants, Weinbars und Cafés. An lauschigen Sommerabenden gelingt uns da manchmal sogar so etwas wie französische Leichtigkeit!

 

Haben Sie ein Lebensmotto, Lieblingszitat, Lieblingsschnack?

Das Leitmotiv aus meinem Roman „Der große Glander“ ist mir auch Lebensmotto: Wir sind freier, als wir denken. Wir haben das Recht, uns immer wieder neu zu erfinden – und wir haben immer eine Wahl.

 

 

 

Autorin: Herdis Pabst
Titelfoto: Stevan Paul im Café Paris © Daniela Haug
Foto: Corona Food Collage © Stevan Paul
Fotogalerie: v.l.n.r.
Stevan Paul:  ˮkochen“,  Christian Brandstätter Verlag © Ralf Nietmann
Stevan Paul: ˮDeutschland vegetarisch“,  Christian Brandstätter Verlag © Miriam Strobach / Le Foodink
Stevan Paul kocht © Andrea Thode
Traditionsgericht Schnüsch © Kramp & Gölling
Foto: Stevan Paul signiert seinen Roman ˮDer große Glander“, mairisch Verlag © Stevan Paul

 

29. Dezember 2020 von Redaktion

Kategorien: Hamburg speist, Lebensfreude, Mein Hamburg

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