Mein Hamburg: Heike Wiehle-Timm

Was lieben die Hamburger an ihrer Stadt – und was nicht? Was bewegt ihr Leben oder was wollen sie bewegen? Menschen erzählen über ihre Leidenschaften, Lieblingsorte und ihr Leben in unserer Metropole. Wir fragen Heike Wiehle-Timm, langjährige Filmproduzentin in Hamburg.

Ihrem Credo ist Heike Wiehle-Timm seit 25 Jahren treu, nämlich Filme zu produzieren, denen sie selbst sich nahe fühlt, im Einklang mit ihrem Denken und Handeln – keine entfremdeten Projekte eben. In diesem Jahr  feiert sie mit ihrer Firma RELEVANT F!LM  25. Jubiläum. Neunzig Filme hat sie inzwischen für Kino und Fernsehen produziert. Das ist schon was. Und es geht weiter mit neuen Projekten.

Sie leben seit langem in der Stadt. Was macht für Sie Hamburg aus?

Neben dem 25-jährigem RELEVANT-F!LM-Jubiläum feiere ich auch noch ein persönliches: nämlich 30 Jahre Hamburg! Ich schätze die offene direkte Art der Hamburger, das entspricht meinem Naturell. Ich liebe meine Stadt, nicht nur, weil sie filmisch so viel zu bieten hat. Der Hafen ist natürlich ein Sehnsuchtsort, aber darüber hinaus gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Wasser, Grün, Historisches, Modernes, Urbanes, Ländliches…

Was hat Sie eigentlich nach Hamburg gelockt?

Durch meinen damaligen Mann, den Regisseur Peter Timm, kam ich nach Hamburg und wechselte vom Theater zum Film. Bei der Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft habe ich als Producerin Serien wie „Der kleine Vampir“ oder die erste Hera-Lind-Verfilmung fürs Kino „Ein Mann für jede Tonart“ mit Katja Riemann produziert. 1993 gründeten wir dann die RELEVANT F!LM. Wir waren voller Ideen und wollten herausfinden, ob uns die Positionierung auf dem Markt gelingt.

Sie haben an die 90 Filme produziert. Welche neuen Projekte gibt es?

Ich überlege immer ganz genau, für welches Medium ein Stoff geeignet ist. Wir haben gerade „Rocca – Verändert die Welt“ hier in Hamburg gedreht:  Family Entertainment fürs Kino um ein elfjähriges Mädchen, das vor nichts und niemand Angst hat und die Welt ein bisschen aus den Angeln hebt, um sie zu einer besseren zu machen. Neben Luna Maxeiner in der Titelrolle standen Barbara Sukowa, Fahri Yardim, Mina Tander, Volker Bruch, Detlev Buck und Cordula Stratmann vor der Kamera, eine großartige Besetzung. Die beiden Hamburger Studentenoscar-Gewinner Katja Benrath (Regie) und Tobias Rosen (Produktion) haben die Produktion für Warner verantwortet.

Am 29. Oktober ist „Aufbruch in die Freiheit“ im ZDF zu sehen. Dafür haben sie gerade beim Hamburger Filmfest den Produzentenpreis bekommen.

Aufbruch in die Freiheit  habe ich mit viel Herzblut gemacht. Der Film erzählt von einer Frau, die Anfang der Siebzigerjahre auf dem Land aus dem traditionellen Familienleben ausbricht. Es geht um Emanzipation, auch um Abtreibung, aber ein wesentlicher Motor ist, dass ihr Mann der Tochter verweigert, aufs Gymnasium zu gehen. Es ist ein Film über die Zeitenwende, die 1971 Stück für Stück in diesem Land einsetzte. Den Rahmen bietet das öffentliche Selbstbekenntnis von 374 Frauen im Stern, abgetrieben zu haben. Die Titelseite der Zeitschrift hat sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben und ist für uns ein wunderbarer Aufhänger.

Charlotte Nikowski (Alwara Höfels, l.) und Erika Gerlach (Anna Schudt, r.) demonstrieren in Köln für die Legalisierung von Abtreibungen.

Wie war die Situation der Frauen in den Siebzigerjahren?

Damals galt die Unterschrift der Frau nichts, sie durfte ohne Erlaubnis des Ehemannes keiner Arbeit nachgehen, durfte keine Wohnung mieten, nicht über die eigenen Kinder entscheiden. Die Emanzipationsbewegung veränderte das Leben von Millionen Frauen und Männern, das gesellschaftliche Bewusstsein und die Gesetze. Es war eine Zäsur, wenngleich wir heute, trotz der vielen Veränderungen, die sich für Frauen als wählende und mündige Bürgerinnen ergeben haben, lange noch nicht da angekommen sind, wo wir sein sollten. Mit den Diskussionen über Bezahlung und Quote von berufstätigen Frauen und der #MeToo-Debatte ist der Film in eine Aktualität geraten, mit der wir nicht gerechnet haben. Dass der Papst Abtreibung mit Auftragsmord gleichsetzt, macht einen fassungslos. Es gibt noch viel zu tun.

Erika Gerlach (Anna Schudt, r.) bringt ihre Kinder Michael (Charlie Schrein) und Sabine (Milla Hammann) auf richterlichen Beschluss hin zurück zu ihrem Mann.

Sie produzieren aber nicht nur, sondern unterrichten auch an der Hamburg Media School.

Der Kontakt zum Nachwuchs ist mir wichtig und ich freue mich über die vielen jungen Talente mit gutem Blick für Geschichten. Es geht mir aber auch darum, zu vermitteln, dass man bei einem Medium, das in der Herstellung so viel Geld kostet, immer den Konsumenten im Blick haben muss und dennoch mutig bei der Wahl der Themen sein sollte. Die Vermittlung von Wissen an jüngere Generationen ist ein großes Anliegen und macht viel Spaß.

Wie schwierig ist es denn, sich in der Branche zu behaupten?

Es ist nicht immer  leicht, einen Stoff unterzubringen oder die Finanzierung zusammenzubekommen. Gerade für anspruchsvolle Filme gibt es nur wenige Sendeplätze. Da hängt man dann manchmal in einer Warteschleife und muss wie ein Jongleur die Bälle in der Luft halten. Eine Planungssicherheit gibt es leider nicht. Die Sorge, dass in einem Jahr einmal zu wenig Projekte klappen könnten, ist immer da, obwohl der Erfolg von 25 Jahren beweist, dass ich nie mit leerem Auftragsbuch dastand. Das seit langem bestehende Team der RELEVANT F!LM ist der Rückhalt in guten wie in schlechten Zeiten. Immerhin liegt die Umsetzungsquote der Firma etwa bei fünf von zehn angebotenen Projekten.

Gibt es den auch so ein richtiges Hamburg-Projekt?

Im Herbst drehen wir hier eine Komödie mit Martina Gedeck und Ulrich Tukur in den Hauptrollen unter der Regie von Rainer Kaufmann. Der Arbeitstitel des Films heißt „Und wer nimmt den Hund?“ Es geht um ein Mittelstandspaar, das seine Trennung therapeutisch begleiten lässt, wunderbar komisch, jedoch mit Tiefgang. Und dann konnte ich mir die Verfilmungsrechte an  Carmen Korns Jahrhundert-Trilogie „Töchter einer neuen Zeit“ sichern, auch so ein Herzensprojekt. Die Bestseller-Romane erzählen von vier Freundinnen auf ihren verschlungenen biografischen Wegen durch das 20. Jahrhundert. Sie lassen uns verstehen, wie wir wurden, wer wir heute sind. Es ist ein Stück Zeitgeschichte, das den Fokus auf Hamburg und seinen Stadtteil Uhlenhorst legt. Der Hamburger Autorin Carmen Korn ist etwas Großes gelungen, das sich hervorragend zur Verfilmung als Mehrteiler eignet.

Was wünschen Sie sich für Hamburgs Zukunft?

Ich wünsche mir mehr Zukunftswerkstätten, denn Hamburg hat eine Menge Probleme zu lösen. Nicht nur verkehrspolitisch, im Wohnungsbereich, in Hinblick auf Umwelt- und Luftverschmutzung und unterschiedlichen Lebenschancen, in verschiedenen Stadtteilen ist Hamburg in Kasten aufgeteilt. Das habe ich im Laufe der Jahre gelernt. Diese gilt es zu öffnen. Für den Filmstandort Hamburg wünsche ich mir bei der anstehenden neuen Besetzung der Geschäftsführung der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein einen klugen, im Sinne der Hamburger Filmbranche kämpferischen Mensch, der leidenschaftlich und innovativ übernimmt.

Wenn Sie mal Zeit für Privates haben, wo zieht es Sie hin in Hamburg?

Zunächst ins Kino. Meist Abaton oder Holi, oder mit einem Buch (im Sommer) in den Garten. Ein Abend an der Elbe ist zum Träumen schön. Die Schanze und das Grindelviertel eignen sich hervorragend für quirlige Ausgeh-Abende.

Haben Sie ein Lebensmotto, Lieblingszitat, Lieblingsschnack?

„Das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein“. Søren Kierkegaard.

 

 

Autorin: Herdis Pabst
Titelfoto: Heike Wiehle-Timm © RELEVANT F!LM
Foto: „Aufbruch in die Freiheit“ Demonstration:  © ZDF / Martin Rottenkolber
Foto: „Aufbruch in die Freiheit“ mit Anna Schudt, Charlie Schrein und Sabine Milla Hammann © ZDF / Bernd Spauke

24. Oktober 2018 von Redaktion

Kategorien: Hamburg filmt, Kulturgenuss, Mein Hamburg

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