Porträt: das Wesen eines Menschen erfassen

Die Prominenten sitzen ihr Modell: der Dirigent Thomas Hengelbrock, der Autor und Moderator Roger Willemsen, der Schauspieler Günter Schramm und der ehemalige Erzbischof Dr. Werner Thissen sind unter den Persönlichkeiten, die Carolin Beyer porträtiert hat. In ihrem lichtdurchfluteten Atelier in Harvestehude arbeitet die Hamburger Künstlerin an Auftragswerken und an eigenen Bildern. Vor allem interessieren sie Menschen – die Aufgabe, eine Persönlichkeit im Bild festzuhalten, fordert sie jedes Mal aufs Neue heraus.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Porträt beginnen?

„Zunächst gibt es ein persönliches Treffen und wir unterhalten uns. Ich mache Beobachtungen, Skizzen und Fotos. Außerdem bitte ich darum, mir Fotos aus der Kindheit mitzubringen. Mein Anspruch ist es, den Charakter, das Wesen des Menschen im gemalten Porträt wiederzugeben, und auf den Kinderbildern hat man noch den unverstellten Blick. Daraus kann ich viel ableiten. Aus dem persönlichen Eindruck, den Fotos und den Skizzen baue ich mir dann mein Bild.“

Wer kommt zu Ihnen und bestellt ein Porträt?

„Das ist ganz unterschiedlich. Zum einen werden Menschen gemalt, wenn sie aus einem offiziellen Amt ausscheiden, wie zum Beispiel der Präses der Handelskammer Dr. Karl-Joachim Dreyer oder die beiden ersten Erzbischöfe in Hamburg. Diese Bilder kommen dann in die entsprechende Galerien oder Sammlungen. Aber ich erhalte auch sehr viele Aufträge von Privatpersonen, die sich oder ihre Kinder malen lassen wollen oder die gleich ein Familienporträt bestellen.

Hat Porträtmalerei auch etwas mit Psychologie zu tun?

„Sehr viel, finde ich. Ich möchte natürlich in einem Porträt das Wesen eines Menschen möglichst genau erfassen. Ich nenne meine Vorgehensweise immer ‚Diagnostik’: Man muss lernen, die Gesichter zu deuten und daraus auf den Charakter zu schließen. Wohin zeigen die Mundwinkel? Wie ist die Körperhaltung? Das sind physiognomische Hinweise, die mir helfen, den zu Porträtierenden zu charakterisieren und dann malerisch darzustellen.“

Wie sind Sie zur Malerei gekommen?

„Ich wollte immer schon Malerin werden, etwas anderes kam für mich nie in Frage. Bereits als kleines Mädchen habe ich mich lieber mit Buntstiften und Papier beschäftigt, als auf dem Spielplatz im Sandkasten zu buddeln. Aus meiner Begeisterung einen Beruf zu machen, lag auch familienbedingt nahe: meine Mutter Marie-Luise Beyer ist ebenfalls Malerin, sie hat mich in meiner Entscheidung sehr unterstützt. Ich habe dann in Hamburg und Italien studiert und mich schon früh auf die Porträtmalerei spezialisiert.“

Sie haben auch andere Motive als Menschen?

„Die Natur. Landschaften, Wolken, Wasser. Ich liebe den weiten Himmel Norddeutschlands und die Formen der Wolken. Eine Serie mit Bildern ist zum Beispiel im Hafen von Dagebüll entstanden, und ich habe auch die Schlepper im Hamburger Hafen gemalt. Da bin ich ganz heimatverbunden. Wenn ich Zeit habe, fahre ich in den Süden zum Malen, nach Italien oder Mallorca, wegen des Lichts und der Farben.“

Was war die größte Herausforderung bisher?

„Jedes Porträt ist eine Herausforderung, denn den Kern der Persönlichkeit im Porträt freizulegen, ist immer wieder eine neue, große Aufgabe, eine Art Expedition in das Seelenleben meines Gegenübers. Es gibt keine Routine, kein Schema, an das ich mich halten kann, weil jeder Mensch individuell ist. Von Roger Willemsen habe ich zum Beispiel zwei Porträts gemalt. Als das erste Bild fertig war, habe ich seine Bücher gelesen, und mir wurde klar, dass ich den Kern seiner Persönlichkeit noch nicht getroffen hatte. Also habe ich noch ein zweites Porträt gemalt, monochrom, auf das Wesentliche reduziert. Und dann war er es plötzlich wirklich, der mich von der Leinwand anschaute. Roger Willemsen hat mir Recht gegeben und war von diesem Porträt sehr begeistert.

Wen würden Sie gerne noch malen?

„Zwei Menschen aus dem Bereich der Musik: den Hamburgischen Generalmusikdirektor Kent Nagano und Udo Lindenberg. Beides sind starke Künstlerpersönlichkeiten, die ich sehr gerne im Porträt charakterisieren würde. Und dann steht Angela Merkel auf meiner Wunschliste: sie zu malen würde mich sehr reizen. Diese auf den ersten Blick eher unscheinbar wirkende Frau, die aber zugleich die mächtigste Frau der Welt ist und gleichzeitig so privat auf mich wirkt. Außerdem finde ich, dass das offizielles Porträt der ersten Frau im Staat von einer Frau gemalt werden sollte.“

Carolin Beyer

 

Text: Bettina Bermbach

Foto: Carolin Beyer © Michael Zapf

Foto: Roger Willemsen: © Manfred Wigger

12. Juli 2017 von Redaktion

Kategorien: Hamburg künstlert, Kulturgenuss

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