Neulich habe ich mich erschrocken. Ich wollte einkaufen und fand mich plötzlich am Ende einer Schlange von geschätzten fünfzig Metern wieder. Daran bin ich nicht gewöhnt. Das schreckt mich ab. Schlange gestanden haben die Menschen damals in der DDR, aber nicht wir im Westen. Doch die Zeiten ändern sich – heute stehen wir sozusagen deutsch-deutsch in der Schlange.
Schlange stehende Hooligans
In einer Schlange zu stehen ist kein Weltuntergang. Das lehrt uns ein Blick über den Kanal auf die britische Insel. Die Engländer sollen ja Meister im Anstehen sein. Angeblich sind sie so sehr daran gewöhnt, dass sich bei Unruhen vor ein paar Jahren sogar Hooligans ordentlich aufgereiht haben sollen, um ein Geschäft zu plündern.
Ob Tatsache oder Witz, in einer Schlange kann es ganz amüsant zugehen. Ich zum Beispiel komme plötzlich ins Gespräch mit wildfremden Menschen. Zu Beginn natürlich über das Schlangestehen und wie lange es noch dauern wird. Schnell wechseln wir dann zu anderen Themen und es entwickelt sich ein lebhafter Austausch. Als sich auch andere in der Schlange beteiligen, wird daraus eine lebhafte Diskussion.
Coole Schlangen
Manche Schlangen sind regelrecht cool. Erinnern wir uns an die hunderte von Menschen, die freiwillig vor Geschäften von Apple ausharrten, um eines der ersten iPhones zu ergattern. Oder die Mitternachtspartys vor Buchläden, um das neueste Buch von „Harry Potter“ druckfrisch zu bekommen.
Dagegen ist es eher lästig, vor einem normalen Lebensmittelgeschäft anzustehen. Nicht zufällig war die Warteschlange ein Symbol des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der früheren Ostblockstaaten. Überhaupt darf die politische Dimension des Anstehen in einer Schlange keineswegs unterschätzt werden. Zum einen, weil dadurch Unzufriedenheit aufkeimt. Andererseits haben die Menschen in einer Schlange Zeit, sich Gedanken zu machen und diese Gedanken zu äußern. Deshalb erzählen Warteschlangen auch immer Geschichten von Aufbruch und Niedergang. Ein Zeichen der Hoffnung sind beispielsweise Schlangen vor Wahllokalen in Ländern, die ihren Bürgern erstmals demokratische Rechte gewähren.
Wir sind nicht allein!
In der Schlage vor unserem Laden wird es meist lustig. Irgendwer macht eine dumme Bemerkung und schon geht es los. Bei gutem Wetter fühle ich mich fast wie bei einer Siesta in südlichen Regionen. Die Menschen plaudern gemütlich und irgendwann wird sicher einer auf die Idee kommen, Tee und Kaffee zu servieren.
Ein Trost für alle, die in diesen Tagen öfter in einer Schlange stehen: Wir sind nicht allein! Auf der Webseite queuerage sind wunderschöne Schlangen aus aller Welt zu bewundern. Allerdings scheint die 2011 gegründete Seite nicht mehr aktiv zu sein. Die letzten Fotos stammen aus dem Jahr 2013. Es darf spekuliert werden, ob die Warteschlange für die Veröffentlichung aktueller Fotos einfach zu lang ist.
Warum drei Minuten, Jonathan?
Übersicht aller Themen dieser Kolumne.
Und hier geht es zu dem aktuellen Buch des Hamburger Schriftstellers David Jonathan.
REKLAME:
Wünschen Sie sich die Aufmerksamkeit Hamburgs und des Nordens? Dann finden Sie mit uns Ihre neuen Kunden, Kontakte, Geschäftspartner und Mitarbeitende. Eine E-Mail oder ein Telefonat bringt Sie an Ihr Ziel: 040 – 34 34 84.
Sie suchen ein inspirierendes Netzwerk mit starken, sympathischen und erfolgreichen Gleichgesinnten? Dann nutzen Sie die Vorteile in unserem Freundeskreis.
Foto/Grafik: © David Jonathan/photolab
28. April 2021 von RedaktionKategorien: Hamburg liest, Kulturgenuss
Schlagworte: Anstehen, Apple, Aufstieg, David Jonathan, Demokratie, Der Norden schnackt, England, Geschichten, Gespräche, Harry Potter, hier schnackt Hamburg, Hoffnung, Hooligans, Kolumne, Lesevergnügen, Niedergang, Ostblock, Schlange, Symbol, Wahllokal, Warteschlange, Zeit, Zusammenbruch