Leistungsfähiger, fitter, besser organisiert – Selbstoptimierung heißt der Trend, der Fahrt aufnimmt.
Überall sieht man sie im Hamburger Stadtbild. Fitte Menschen auf ihren individuellen Trimm-dich-Pfaden. Und während sie schwitzen, registrieren Brustgurt und Smartphone alle relevanten Daten und werfen im Anschluss Leistungskurven aus.
Franka ist laut „Runtastic“ 7,86 Kilometer gelaufen, hat dafür 48 Minuten gebraucht und 472 kcal verbrannt. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit: 6 km pro Stunde. Und auch Fred teilt seine neuesten Trimm-dich-Ergebnisse heute wieder stolz mit seiner Social-Media-Freundesliste: 30 Kilometer bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 km/h im hügeligen Gelände. „Respekt!“, ist die erste Reaktion und nur wenige Sekunden später habe ich ein diffuses Gemusel im Bauch. „Müssen die so protzen?“, melden sich kritische Stimmen. „Warum posten die ihren Fitnesswahn im Netz?“ Und jetzt ist auch das schlechte Gewissen zur Stelle und fragt: „Sollte ich nicht auch mal zeitnah meinen Hintern hoch kriegen?“ Die Fitness-Nabelschau zeigt Wirkung. Mein inneres Team ist im Streit. Ich fühle mich urplötzlich fürchterlich undiszipliniert, unfit und träge.
Der Wunsch nach Kontrolle wächst
Multioptionalität bestimmt unseren Alltag. Gnadenlose Überforderung. Ständig müssen wir Entscheidungen treffen, die wir gar nicht treffen können, weil uns Informationen fehlen. Gefühlt ist es unmöglich geworden, die perfekte Option zu wählen. Das ist Stress. Kein Wunder also, dass sich mehr und mehr Menschen wieder ein wenig mehr Kontrolle wünschen. Und wo fängt man am besten an? Bei sich selbst! „Wenn man eine Chance hat, etwas zu messen, kann man es scheinbar managen“, sagt Prof. Peter Wippermann. Der Hamburger arbeitet als Trendforscher und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Uni der Künste in Essen und beschäftigt sich seit Jahren mit dem, was uns in einigen Jahren beschäftigen wird. Die neuesten Erkenntnisse seiner Trendforschung hat er auf 166 Seiten in seinem Buch „Das Zeitalter der Selbstoptimierer“ veröffentlicht.
Der eigene Körper als Eigenkapital
„Der Trend zur Selbstoptimierung kommt aus der Sportbewegung“, sagt Trendforscher Wippermann. Mit dem Aufkommen von Smartphones 2007 hat sich dieser wie ein Lauffeuer ausgebreitet und inzwischen nahezu alle Lebensbereiche erfasst. Doch bleiben wir beim eigenen Körper. Er wird laut Wippermann als Eigenkapital angesehen, welches es zu vermehren gilt. Wer erfolgreich performt, bekommt Anerkennung. Und wenn die Trimm-dich-Ergebnisse auf Facebook geteilt, gelikt und kommentiert werden, dann wird das Ego gepusht und der soziale Status steigt. Andere Selbstoptimierer fühlen sich angestachelt und zu einem Kräftemessen aufgefordert. Und der Rest? Versucht, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ich jedenfalls gehe jetzt wieder regelmäßig walken. Ohne App und geteilte Resultate. Vielleicht 2015, wenn mein Fitnesslevel konkurrenzfähig ist.
Vorschau:
Männer und Frauen ticken unterschiedlich – in Teil 2 unserer Serie „Pimp my life“ geht es um den kleinen Unterschied beim Thema Selbstoptimierung.
Haben auch Sie Erfahrungen mit technischen Applikationen (Apps) zur Selbstkontrolle? Schnacken Sie mit uns! Wir freuen uns über Ihre Kommentare und Mails.
Autorin: Harriet Lemcke
11. August 2014 von RedaktionKategorien: Hamburg denkt, Wissensdurst
Schlagworte: App, Bewegung, Fitness, Gesundheit, Management, Prof. Wippermann, Selbstoptimierer, Self Tracking, Trend, Trendforschung, Vorsorge