Mein Hamburg: Marie Bäumer

Was lieben die HamburgerInnen an ihrer Stadt – und was nicht? Was bewegt ihr Leben oder was wollen sie bewegen? Menschen erzählen über ihre Leidenschaften, Lieblingsorte und ihr Leben in unserer Metropole. Wir fragen die Schauspielerin Marie Bäumer.

Auch wenn sie eigentlich in Frankreich lebt, fühlt sich die Schauspielerin immer noch in Hamburg zuhause. Im Hamburger Westen ist sie aufgewachsen, hat einen Teil ihrer Schauspielausbildung hier absolviert und an der Schule für Schauspiel sowie an der Hochschule für Theater und Musik studiert. Bekannt wurde sie mit ihrer Rolle in Detlef Bucks ˮMännerpension“, zuletzt feierte sie große Erfolge als Romy Schneider in ˮDrei Tage in Quiberon“. Inzwischen gibt sie ihr Wissen gerne weiter, zum Beispiel in regelmäßigen Workshops an der Schule für Schauspiel Hamburg und in ihrem vor drei Jahren gegründeten Atelier Escapade .

Wenn Sie aus Frankreich zu Besuch in Hamburg sind, wie erleben Sie die Stadt?

Geordnet. Man kann hier gut sortieren. Man kann hier herkommen, um Klarheit zu schaffen. Hamburg ist eine ruhige Stadt, ein bisschen kühl. Ich liebe diesen Hamburger Nieselregen und die schönen alten Bäume. Ich empfinde die Menschen hier als freundlich, aber das hat ja immer auch mit der eigenen Stimmung zu tun. Wenn ich hier bin, habe ich viel Kontakt zu meinen Freunden und meiner Familie. Und ich kaufe immer Franzbrötchen, Pumpernickel und Kürbiskernöl.

Sie geben hier regelmäßig Workshops an der Schule für Schauspiel. Was reizt sie daran?

Seit meiner Ausbildung dort ist der Kontakt zu dieser Schule bestehen geblieben. Ich liebe den offenen Esprit der Studenten, die durch die wunderbare Leitung der drei Direktoren geprägt ist. Durchs Lehren lerne ich etwas. Ich selbst hatte so besondere Lehrer an den Schauspielschulen, die ich besucht habe, und habe von all diesen Institutionen etwas mitgenommen, wofür ich sehr dankbar bin. Es interessiert mich, an mir weiter zu forschen und zu schauen, was bei den Studenten bei einer Übung passiert. Es geht immer darum, den Schlüssel zu jedem Einzelnen zu finden. Wir arbeiten an Visionen. Ich wünsche ihnen, dass sie sich alle am Ende meines Kurses drei Zentimeter größer fühlen. Dafür packe ich Ihnen eine Art Rucksack. Manchmal kommt nach Jahren einer auf mich zu und sagt: „Weißt du noch, du hast mir damals das Loslassen, das Weinen beigebracht.“

 

Marie Bäumer mit Michaela Uhlig von der Schule für Schauspiel Hamburg

Was ist für Sie wichtig in ihrem Beruf?

Dass ich die Kernmotivation und die Kernsehnsucht der Figur verstehe. Sonst kann ich eine Figur nicht spielen.

Es wird häufig geklagt, dass es für Frauen zu wenig gute Rollenangebote gibt. Wie sehen Sie das?

Wenn man von der Schauspielerei leben will und gleichzeitig schauspielerisch hundert Prozent erfüllt sein will, dann stimmt das. Es gibt einfach sehr wenig komplexe, wirklich interessante große Frauenfiguren, deutlich weniger als solche Männerfiguren. Und dabei gibt es mehr Schauspielerinnen. Aber ich entscheide inzwischen sehr klar, ob ein Angebot für mich stimmig ist, ob ich voller Leidenschaft dahinter stehen kann. Wenn nicht, tue ich andere Dinge, gebe Ateliers oder schreibe. Ich langweile mich nie.

Mit ihrem letzten Kinofilm ˮDrei Tage in Quiberon“ konnten Sie einen großen Erfolg feiern. Mit der Romy Schneider haben Sie eine ganz besondere Rolle gespielt. Was bedeutet das für Sie?

Es war schrecklich und schön zugleich. Für die Geschichte und wie sie erzählt wird, bin ich ja mit verantwortlich. Mich hat nicht interessiert, die Schauspielerin Romy Schneider darzustellen. Mir war wichtig, die Frau hinter der Ikone zu fassen zu kriegen. Da war ich mir mit der Regisseurin sehr einig. Dieser Stress, ob wir das wirklich schaffen, hat mich die ganzen Dreharbeiten über begleitet. Erst als ˮDrei Tage in Quiberon fertig war konnte ich mich allmählich wieder entpannen.

Ihr Buch ˮEscapade: Der Aufbruch in die Freiheit“ ist gerade erschienen. Worum geht es da?

Es ist ein sehr persönlich geschriebenes Sachbuch über die Gründung des Ateliers Escapade. Ich habe  ausprobiert, ob meine Methode, die ich für Schauspielschüler entwickelt habe, auch Menschen aus einem ganz anderen Umfeld zu Gute kommen könnte. Das habe ich ganz spielerisch angefangen, aber es gab dann eine so starke Resonanz, dass ich das Atelier Escapade gegründet habe. In den Mediationen mit Pferden geht es um den befreienden Aufbruch aus alten Gewohnheiten und darum, Blockaden zu lösen, Raum, Bewegung und Verbindung neu zu erfahren. Dem liegt eine Art Lebenshaltung zugrunde, es ist so eine Art Baugerüst, in das meine Lebensphilosophie mit einfließt. Am Ende des Buches stellt ein Entrümpelungskapitel die Frage, wie viel Gepäck von innen und außen man abwerfen kann, um sich frei zu fühlen und die nächste Escapade zu starten. (Lesung und Gespräch mit Marie Bäumer am 31.10., im Abaton 20 Uhr, im Anschluss der Film ˮDrei Tage in Quiberon“)

Kann man auch in Norddeutschland an solchen Ateliers teilnehmen?

Zur Zeit finden sie im Rahmen der Cavalluna in München statt. Ab nächstem Jahr werden dann auch Ateliers in Frankreich angeboten. Die Ateliers in Hamburg gibt es auch, aber sie finden ohne Pferde statt.

Wie sind Sie eigentlich zur Schauspielerei gekommen?

Ich finde, dass das Medium Film so unerschöpflich ist. Man kann eine Figur in zwei Minuten etablieren und die Zuschauer dann neunzig Minuten in einer Sehnsucht schwelgen lassen, zum Beispiel bis ein auseinandergerissenes Paar wieder zusammenkommt. Das schafft nur der Film. Das Nachahmen hat mich schon als Kind gereizt, vor allem mich in den Körper von anderen Menschen hineinzubewegen. Meine Mutter erzählte immer, dass ich das auch bei Tieren gemacht habe, mich also entsprechend bewegt habe. Ich arbeite auch heute noch sehr stark über den Körper.

Gibt es einen Ort in Hamburg, der Ihnen in der Kindheit wichtig war?

Wir hatten keinen Fernseher. Somit bin ich mit meiner Schwester immer ins Blankeneser Kino geschlüpft, wo die Pippi-Langstrumpf-Filme liefen. Da hat sich, glaube ich, diese Sehnsucht zur Schauspielerei entwickelt, aber mehr noch, so leben zu wollen, wie sie. Heute tue ich das tatsächlich ein bisschen. Mein Pferd steht zwar nicht auf der Veranda, sondern im Garten. Und ich habe keinen Affen, sondern einen Hund. Eigentlich geht es aber um das Gefühl, jederzeit alles so machen zu können, wie ich es gerne möchte. Oder Strategien zu finden, um Widerstände, die da sind, zu überwinden.

Und an welche Lieblingsorte in der Stadt zieht es sie heute?

Wenn ich hier ankomme, flitze ich immer zuerst an die Elbe. Da bin ich aufgewachsen. Övelgönne liebe ich sehr, die großen Schiffe, den Fluss, den Hafen – das ist für mich der wichtigste Ort.

Haben Sie ein Lebensmotto, ein Lieblingszitat oder Lieblingsschnack?

„Auf Erden sind wir kurz grandios“, so heißt der Debütroman von Ocean Vuong. Für mich drückt schon der Titel so eine Art Pippi-Langstrumpf-Philosophie aus, nach dem Motto: Ich habe es nie vorher versucht, doch ich bin mir sicher, dass ich es schaffen werde.

 

 

 

Mein Hamburg: Jan Oberndorff

 

Autorin: Herdis Pabst
Titelfoto: Marie Bäumer © Helen Peetzen
Foto: Marie Bäumer mit Michaela Uhlig von der Schule für Schauspiel Hamburg © Helen Peetzen

23. Oktober 2019 von Redaktion

Kategorien: Hamburg filmt, Kulturgenuss, Mein Hamburg

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