Interview: Harriet Orkwitz, Konzert der Stille

Konzert der Stille

Stille ist in unserer heutigen Zeit voller Gadgets, Medien und Netzwerke ein wahrlich wertvolles Gut. Doch wie können wir diese wohltuende Stille schaffen und nutzen – und wieso ist sie ein so bedeutsamer Gegenpol zu Klängen, Tönen und Worten? Ein Gespräch mit der Musikwissenschaftlerin und -therapeutin Harriet Orkwitz.

Welche Aufgabe haben Töne in unserer Welt?

Harriet Orkwitz: Dazu muss man sich anschauen, wo der Hörsinn überhaupt herkommt: Die Haarsinneszellen der Fische – ein Gleichgewichtsorgan mit höchst empfindlichen Sensoren für Druckunterschiede – haben sich nach und nach zu Hör-Papillen entwickelt. Als die Wirbeltiere vor rund 350 Millionen Jahren das Meer verließen, waren sie also taub. Erst 100 Millionen Jahren später konnten sie die Geräuschkulisse aus Wind und Meer hören. Der Hörsinn bildete sich dann aus, um auch nachts jagen zu können – ein evolutionärer Vorteil.

Auch heute jagen, konkurrieren, warnen, führen und werben wir mit Tönen. Töne sind also notwendige Voraussetzungen, um zueinander in Beziehung zu treten oder uns abzugrenzen. Singen, tönen oder sprechen sind ausdrucksstarke und natürliche Formen, sich sicht- und hörbar zu machen.

Was unterscheidet Musik von Lauten und Sprache?

Harriet Orkwitz: Töne und Laute drücken ein intuitives, archaisches Erspüren einer atmosphärischen, natürlichen Stimmungen um uns aus. Sie beinhalten eine Bewegung auf uns und auf den Gesprächsgegenstand zu. Sie sind eine Begegnung, die sich aus dem Moment schöpft und die Erlebensebene mit einschließt. Musik und Sprache sind dagegen Konditionierungen, die uns eher voneinander entfernen, weil sie separieren, interpretieren, bewerten und systematisieren.

Welche Bedeutung hat die Stille im Gegensatz dazu?

Harriet Orkwitz: Die Stille ermöglicht es uns, in uns hinein zu hören: Was sind unsere Wünsche? Was macht uns aus? Was bringen wir ein? Wann sind wir glücklich? Außerdem ist Stille ein wesentlicher Bestandteil jedes Gesprächs. Wir lauschen und hören zu: Wie wirken die Töne, Klänge und Worte auf uns? Was erfahren wir durch Zwischentöne? Dieses Gespür für Stille versus Schweigen will stetig geübt werden.

Was ist der Unterschied zwischen Stille und Schweigen?

Harriet Orkwitz: Die Stille hat mehrere Aspekte: Ruhe ist der leibliche Aspekt der Stille, Pause der musikalische – und Schweigen der sprachliche. Stille ist aber auch relativ. Je nach Situation und Kontext wird sie von äußeren, akustischen Gegebenheiten und von inneren Empfindungen geprägt.

An einem Tag genießt man zum Beispiel das windige Tosen des Meeres, an einem anderen nervt es einen. Was wir in Stille erfahren und erleben, wie wir über sie reflektieren und wie wir sie bewerten oder nicht bewerten, ist höchst persönlich und hängt von unserer Aufmerksamkeit ab, die wir der Stille schenken.

Wie können wir Stille in unseren Alltag einbauen?

Harriet Orkwitz: Wenn wir in unserem Alltag auf der Suche nach Stille sind, finden wir sie überall. Es gibt viele kleine Zeitgeschenke: An der Supermarktkasse, an einer roten Ampel, beim Waschbecken polieren, bevor wir unseren Fuß vor die Haustür setzen, nachdem wir unsere Kinder zu Bett gebracht haben – überall können wir einen Moment finden, um tief durch zu atmen und still zu sein. Stille hat etwas zutiefst Menschliches: Sie braucht – wie wir – einen Zeugen (lacht).

 

Konzert der Stille Harriet Orkwitz bloggt unter www.konzert-der-stille.de über Stille, Klänge und Spiritualität. Außerdem bietet sie regelmäßig Abendveranstaltungen an mit angeleiteten Meditationen, Essen in Stille oder sinnlichem Singen und Tönen. 13. März 2013 von Redaktion

Kategorien: Hamburg heilt, Lebensfreude

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