Wer Kunst und Kulturgüter sehen will, vom Gemälde bis zur Designer-Keramik, muss ins Museum gehen. Dort kann der Besucher die Ausstrahlung der Originale erleben und in die Zeit ihrer Entstehung eintauchen. Doch dieses herrliche Vergnügen ist meist nur von kurzer Dauer. Dann verschwinden die kostbaren Objekte nach Ende der Ausstellung wieder in den Regalen des Lagerraums. Nur zwei Prozent der Objekte, die zum Beispiel das Museum für Kunst und Gewerbe verwahrt, sind für Besucher sichtbar. Und der große Rest?
Der Blick ins Museumslager
Einen Teil davon kann nun jeder ganz bequem vom heimischen Sofa aus betrachten. Die digitale Technik macht es möglich. So kann sich jeder Interessierte zu Hause am Rechner seinen eigenen digitalen Museumsbesuch zusammenstellen, und mehr noch die Bilder herunterladen und nutzen. Bislang findet man in der Sammlung online vor allem fotografische Arbeiten, aber auch Trink- und Schankgeschirr, Wandschmuck oder Keramik. Man kann nach Künstlern, Sammlungen, Sachgruppen, sogar nach Materialien suchen oder einfach auf „Entdeckungsreise“ klicken und sehen, was kommt.
Online macht erfinderisch
Wer es spielerischer mag, kann mit einer App die historischen Fotografien des Museums neu entdecken – und schwups sein Gesicht in ein Porträt aus 200 Jahren Kunstgeschichte montieren: ein Selfie der besonderen Art und ein herrliches Rollenspiel. Wer tiefer in eine Epoche eintauchen möchte und die gelungene Jugendstilausstellung des Museums verpasst hat, kann im neuen Webjournal mit dem fiktiven Reporter Christian Heller auf eine erbauliche, digitale Bildungsreise gehen. Aber auch Vorort im Museum lässt sich durch digitalen Technik mit einer Audio-Tour mehr entdecken.
Kulturgüter für alle – weltweit
Und was könnte man in solchen digitalen Museumswelten noch alles erleben? Picasso treffen: Gibt es noch nicht. Nofretete in 3-D ausdrucken: Ist schon möglich, die App steht zum Download bereit. Ein Online-Besuch im Rijksmuseum in Amsterdam, im Statens Museum for Kunst in Kopenhagen oder im Metropolitan Museum of Art in New York, kein Problem auch für jene, die nicht dorthin reisen können, denn die sind online. In Deutschland ist das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) Vorreiter bei der Digitalisierung.
Ein Plädoyer für die Verfügbarkeit von Kulturgütern
Doch ganz einfach ist der digitale Zeitenwandel nicht, aber wünschenswert, findet Antje Schmidt, Leiterin der Digitalen Inventarisierung im MKG. „Die Sorge, dass wegen der digitalen Verfügbarkeit niemand mehr ins Museum kommt, teilen wir nicht. Jeder kennt die Mona Lisa und trotzdem oder gerade deshalb wollen sie sehr viele Menschen im Original sehen.“ Die Verbreitung, findet Schmidt, hilft, ein Kulturgut bekannt zu machen und Interesse zu wecken. Aus ihrer Sicht ist ein Museum nicht Besitzer der gesammelten Objekte, sondern Bewahrer, um sie der Gesellschaft zugänglich zu machen.
Chancen für kleine und große Kulturinstitutionen
Die Regeln, die eine digitale Sichtbarkeit der Museumsbestände und ihre sogenannte Nachnutzung etwa als Download oder Ausdruck erlauben, werden international diskutiert. Das MKG hatte gerade zu einem Kongress mit vielen Workshops zum Thema eingeladen und stieß damit auf großes Interesse bei kleinen Institutionen wie der Ottenser Geschichtswerkstatt ebenso wie beim berühmten Rijkmuseum in Amsterdam.
Vieles geht, manches nicht
Das Urheberrecht ist da eine entscheidende Schranke. Gibt es noch einen Rechteinhaber, so können die Museen seine Zustimmung einholen. „In den meisten Fällen gelingt das“, so Schmidt, denn deren Interesse ist groß, dass das Kunstwerk gesehen wird.“ Aber für viele Objekte der Sammlung des MKG und anderer Museen gilt, dass man oft nicht weiß, wer die Rechte besitzt. Diese Objekte werden nur sichtbar, wenn sie in eine Ausstellung passen. Online können sie nicht gezeigt werden. Erst 70 Jahre nach dem Tode eines Künstlers erlischt das Urheberrecht, das Kunstwerk wird „gemein frei“ und gilt fortan als Public Domain. Nur solche Sammlungsobjekte können Museen online stellen oder eben solche für die die Onlinestellung mit den Rechteinhabern geklärt wurde.
Sharing is Caring – Kunst für alle
Durch die Digitalisierung eines seiner Public Domain-Objekte erhält das Museum allerdings unter Umständen ein neues Recht am Bild. Damit gehen die Museen ganz unterschiedlich um. Manche machen die Nutzung kostenpflichtig und das Objekt bleibt weitgehend unsichtbar. Antje Schmidt vom MKG plädiert dafür, so viele Kunstobjekte wie irgend möglich im Netz frei zugänglich zu machen und ist damit auf einer Linie mit der Europäischen Kommission und der digitalen Agenda des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zumal es längst üblich ist, dass die Besucher im Museum fotografieren.
Mehr Aufmerksamkeit für die Museen
„Dass die Einnahmen durch sogenannte Image Sales gering sind, belegen viele internationale Studien“, sagt Schmidt und befürwortet eine größtmögliche Barrierefreiheit auch bei der Nachnutzung. „Die Aufgabe der Kulturinstitutionen ist es ja gerade, die Objekte, die sie verwahren, der Gesellschaft zugänglich zu machen. Unsere Open-Access-Policy ermöglicht eine freie Nutzung zum Beispiel in Vorträgen, für die museale Vermittlung, in der Wissenschaft, aber auch privat und sogar kommerziell.“ Schmidt ist davon überzeugt, dadurch eine höhere Aufmerksamkeit für die Kunst und auch für die Museen zu erzielen.
Kreativität eröffnet neue Möglichkeiten
Das Rijkmuseum in Amsterdam macht es vor. Es hat einen hoch dotierten Preis, den Rijks Studio Award, für neue Kreationen rund um die digitalen Vorlagen ausgelobt, um Künstler und Designer zu neuen Schöpfungen zu inspirieren, wie die Hamburger Selfie-App, die im Rahmen eines Hackathons entwickelt wurde, um so eine moderne Nutzung der Sammlungen zu ermöglichen. Solch einen digitalen Innovationsschub und die dafür nötigen finanziellen Mittel wünscht sich Schmidt auch für deutsche Kulturinstitutionen, damit Museen attraktiv sind, real und digital im Zeitalter 4.0.
Autorin: Herdis Pabs
Titelfoto: © MKG-Hamburg
Foto: Antje Schmidt, Leiterin der Digitalen Inventarisierung im MKG © Helene Roolf
Kategorien: Hamburg publiziert, Wissensdurst
Schlagworte: Antje Schmidt, Digitalisierung, Hamburg, Kunstobjekt, Metropolitan Museum of Art, Museum für Kunst und Gewerbe, Online-Sammlung, Rijkmuseum, Sharing is Caring, Statens Museum for Kunst