Im Literaturhaus wird viel gelesen. Zuweilen erobern aber auch Kinder das Gebäude an der Alster. Dann heben die „Gedankenflieger“ ab.
Kann man mit einer Stoffente befreundet sein? Müssen beste Freunde das gleiche Essen mögen? Es sind wichtige Fragen, über die eine Vorschulklasse gerade im Literaturhaus Hamburg nachdenkt und diskutiert. Fünf Mädchen und sechs Jungs sitzen in Stuhlreihen im ersten Stock des altehrwürdigen Gebäudes.
Einmal im Monat können Kinder an der Alster über ein Thema philosophieren. Meist ist es eines, das direkt mit ihrem Leben zu tun hat. Das Motto der Veranstaltung lautet „Gedankenflieger“. Angeleitet wird die philosophische Runde von der promovierten Erziehungswissenschaftlerin Kristina Calvert.
Heute ist das Thema „Freundschaft“ dran. Es geht ganz einfach los. Kristina Calvert hält eine Zitrone hoch und fragt: „Was ist das?“ Lena darf antworten: „Eine Zitrone.“ Woher sie das weiß? „Weil sie gelb und rund ist.“
„Aha“, schlussfolgert Kristina Calvert, „das bedeutet, alles, was gelb und rund ist, ist eine Zitrone.“ Da ist sich die ganze Gruppe schnell einig: „Neeeeeeein!“
Den eigenen Gedanken vertrauen lernen
Kristina Calvert möchte den Kindern zeigen, wie man die eigenen Gedanken prüft. „Es gibt so viele Besserwisser auf der Welt, die die Wahrheit für sich beanspruchen. Dabei hat jeder doch seine eigene Wahrheit in sich. Die Kinder sollen lernen, auf diese zu vertrauen.“
Deshalb lässt Kristina Calvert auch jede Antwort gelten. Geschickt stellt sie Gegenfragen, durch die sich die Kinder selbst widerlegen können, ohne das Gefühl zu bekommen, etwas falsch gemacht zu haben.
Die Kinder sollen beim Philosophieren auf eigenes Erfahrungswissen zurückgreifen und von sich aus verstehen, anstatt belehrt zu werden. Kristina Calvert gibt lediglich kleine Anregungen.
Eine Stoffente kann nicht zu Besuch kommen
Jetzt kommt eine Stoffente ins Spiel. „Könntet ihr mit der befreundet sein?“ fragt Kristina Calvert. Helene ist sich sicher: „Wenn man sich beim Spielen kennenlernt, kann man auch Freunde werden.“ Und spielen lässt sich mit einer Stoffente gut.
Paul sieht das anders: „Das mit der Freundschaft geht nur bei Menschen. Stofftiere haben keinen richtigen Mund. Sie können nicht essen und nicht reden.“
Warum es denn wichtig sei, dass Freunde miteinander sprechen können, will Kristina Calvert wissen. Für Paul ist das ganz klar: „Man muss ja sagen können, wenn einem was wehtut. Oder in welchem Team man beim Fußball spielt.“
Am Ende hat Paul Helene überzeugt. Sie sagt: „Die Stoffente kann mich ja noch nicht einmal besuchen kommen, weil sie nicht laufen kann.“ So funktioniert Freundschaft bei ihr leider nicht.
Freunde sein trotz Unterschieden?
Seit sechs Jahren arbeitet Kristina Calvert mit Vor- und Grundschulkindern bei „Gedankenflieger“ im Literaturhaus. Die Basis hierfür bildet das Konzept des „Philosophierens mit Kindern“, das sie an der Universität Hamburg im Bereich der Naturwissenschaften ausprobiert hat.
Das Thema Freundschaft muss zu Ende gebracht werden, es geht ans Eingemachte. Was ist, wenn zwei Freunde ganz unterschiedlich sind? Funktioniert das? Dazu liest Kristina Calvert die Geschichte „Gibt es eigentlich Brummer, die nach Möhren schmecken?“ des Autoren und Cartoonisten Matthias Sodtke vor.
Ein Hase und ein Frosch versuchen, die Lieblingsspeise des jeweils anderen zu genießen. Sie sind schließlich beste Freunde und machen alles zusammen. Aber es will einfach nicht klappen.
Und weil es keine Brummer gibt, die nach Möhren schmecken, stellen die Kinder fest: Unterschiede gehören zum Leben dazu. Prima, so etwas kann man nicht früh genug erfahren.
Die Gedanken fliegen lassen – das geht auch beim Malen.
Autorin: Anja-Katharina Riesterer
Bildbeschreibung Titelfoto: Kristina Calvert (rechts) in Aktion: „Jeder hat seine eigene Wahrheit in sich“.
Kategorien: Hamburg denkt, Wissensdurst
Schlagworte: Freundschaft, Gedankenflieger, Hamburg, Kristina Calvert, Literaturhaus, Matthias Sodtke, Philosophieren mit Kindern, Schwanenwik