Hamburg feiert Reformation

Seit 2011 ist Kirsten Fehrs Bischöfin in Hamburg und Lübeck. Eine ihrer Aufgaben ist die geistliche Leitung des Sprengels und die Repräsentation der Kirche in der Metropolregion Hamburg. Sie engagiert sich im sozialen Bereich, setzt sich für Humanität und Menschenwürde ein, unterstützt Flüchtlinge, befasst sich mit dem Dialog der Religionen. Im Jahr 2015 wurde sie in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Ihre Predigtstätte ist der Michel. Wir  sprachen mit der Bischöfin über das Reformationsjubiläum und soziales Engagement als Herzensangelegenheit

Wir feiern in  diesem Jahr ein Jubiläum. Welche Bedeutung kann die Reformation vor 500 Jahren heute für uns haben?

Ich finde es erstaunlich, wie neugierig viele Menschen auf die Reformation sind – sowohl auf die Geschichte von vor 500 Jahren, als auch auf den aktuellen Bezug. Wie man Reformation heute übersetzen kann, wo heute noch „Ablasshandel“ stattfindet und welche neuen Thesen die Menschen für unsere Gesellschaft haben, für ein Leben in Freiheit, das alles interessiert die Menschen, auch die jungen übrigens. Das Reformationsjubiläumsjahr kann das wunderbar anstoßen.

 

Wie können wir das Reformationsjahr in Hamburg feiern?

Auf der Webseite Hamburger Reformation sind besondere Highlights zu finden und in den Stadtteilen und Gemeinden wird gefeiert – Hamburg feiert!

Wird das Jubiläum helfen, wieder mehr Menschen in die Kirchen zu locken?

Auch wenn wir Nordlichter im bundesdeutschen Vergleich eben nicht die eifrigsten Kirchgänger sind, die Gottesdienstbesuchszahlen sind in den letzten 20 Jahren nicht schlechter geworden. Und es gibt eben immer mehr ganz neue Gottesdienstformate – unter freiem Himmel oder an besonderen Orten, mit moderner Musik, für bestimmte Zielgruppen. Auch die Ausstellung des US-amerikanischen Videokünstlers Bill Viola in den Deichtorhallen war ein Beitrag zum Reformationsjubiläum.

Was hat Sie motiviert, das zu werden, was Sie jetzt sind?

In Dithmarschen, wo ich einer Kleinstadt aufgewachsen bin, hab ich mich schon früh gefragt: wie kann man sich engagieren? Und da habe ich die Kirche über das Singen als einen Ort kennengelernt, an dem man selbstständig sein und Verantwortung übernehmen konnte. Gerade dort konnte man existentielle Themen wie Fragen zur Friedensbewegung, zu Leben und Tod ansprechen und diskutieren. In einer Zeit, in der uns auch politisch viel umgetrieben hat – im Übrigen wenige Kilometer entfernt von Brokdorf. Und der Glaube wurde mir insbesondere durch meine Mutter als eine feste Größe vermittelt. Sie stammte aus Pommern, hatte selbst eine Fluchterfahrung und war eine sehr engagierte Frau. Sie hat viel mit uns gesungen und mir die Zuversicht gegeben, dass ich im Leben getragen bin – von Gott und von Menschen, die helfen. Diese Art der Dankbarkeit, die habe ich nicht nur als Traditionsvermittlung in meinem Elternhaus mit auf den Weg bekommen, sondern die hat mich dann auch in das Studium der Theologie geführt. Es ist eben nicht nur eine Geisteswissenschaft, sondern auch eine Herzensangelegenheit – denkender Glaube, wenn man so will.

Sie haben in Hamburg studiert. Sich um Menschen zu kümmern, haben Sie sich zur Aufgabe gemacht.

Bereits während meines Studiums war ich ehrenamtlich in der Krankenhaus- und Urlauber-Seelsorge, aber auch in der Gefängnisseelsorge tätig. Schon da habe ich gelernt, dass die Seelsorge Menschen tatsächlich „über den Berg“ helfen kann. Und dass es eine sehr intensive Form ist, Menschen in Grenzsituationen zu begleiten. Seelsorge ist aber auch gesamtgesellschaftlich gesehen eine wichtige Aufgabe – sie richtet den Blick auf diejenigen, die in einer bestimmten Phase ihres Lebens eben nicht so unbeschwert und vital, so vermögend, jugendlich und leistungsfähig sind, wie es in unserer Leistungsgesellschaft vorausgesetzt wird. Das soziale Gesicht einer Stadt zeigt sich an der Sensibilität, mit der auch sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Was bedeutet es für Sie, in Hamburg tätig zu sein?

Kirche ist gerade in der Metropole an so vielen Orten gesellschaftlich aktiv – und zwar ohne dass zuallererst die Frage gestellt wird, ob man Kirchenmitglied ist. Verantwortung übernehmen wir als Kirche ja aus tiefer christlicher Überzeugung überall dort, wo Menschen in Not sind – auch wenn sie nicht christlichen Glaubens sind. Das aktuelle Beispiel ist natürlich die Flüchtlingshilfe. Aber auch als  Hauptpastorin von St. Jacobi habe ich vor Jahren zu einem Runden Tisch mit der Handelskammer geladen, um einen guten Kompromiss zwischen dem Einzelhandel und Obdachlosen zu finden, die seitdem nachts in Geschäftseingängen der Innenstadt übernachten durften. Oder auch der jährliche Gottesdienst, der seit 2006 gemeinsam mit dem Weißen Ring am Tag der Kriminalitätsopfer stattfindet, der liegt mir bis heute sehr am Herzen.

Das sind aber nicht die einzigen Bereiche, in denen Sie sich engagieren.

Es geht darum, genau hinzuschauen. Aufmerksam zu sein für die, die unter Gewalt und Not leiden und oft übersehen werden. Dazu gehört es auch, Themen wie „Gewalt an Frauen“ oder „Sexualisierte Gewalt“  aus dem Tabubereich zu holen und eine ganz klare Solidarität mit Opfern zu zeigen. Aber auch die Situation der Menschen in unserer Stadt, die unter der relativen Armutsgrenze leben – vor allem bei Alleinerziehenden ist das Armutsrisiko in Deutschland auf über 44 Prozent gestiegen! – verlangt nach Fördermöglichkeiten und nach Bildungskonzepten, die greifen. All das gehört für mich zu einer lebenswerten Stadt, in der das Gemeinwohl über den – manchmal doch sehr eigentümlich begründeten – Partikularinteressen steht.

Sind die Aufgaben zahlreicher, sind sie größer geworden?

Ja, ganz sicher. Die Aufgaben wachsen, wachsen uns auch gerade als Kirche und Diakonie zu. Nehmen Sie die Altenpflege, Krankenhausseelsorge, die Kitas bis hin zur Flüchtlingshilfe. Das Vertrauen in unsere Institution ist diesbezüglich also ungebrochen hoch. Zugleich werden wir weniger – weil Institution. Diese Entwicklung macht mir Sorgen: Wie sollen wir das Engagement, das wir als Christen gerne, umfassend und professionell leisten, in Zukunft aufrechterhalten, wenn uns die Menschen den Rücken kehren?

Nehmen Sie in der Gesellschaft einen Wertewandel wahr?

Wir stehen durch die Digitalisierung und die sozialen Medien vor einem Wertewandel, der uns alle herausfordert und den wir viel zu wenig in den Blick nehmen. Denn dass bei allen digitalen Faszinationen und Arbeitsprozessen der Mensch im Mittelpunkt bleibt – dafür müssen wir uns aktiv einsetzen! Auch geht es angesichts einer undefiniert großen Internet-Community darum, die Spaltung in der Gesellschaft zu verhindern und gegen schnelle Abwertung von Minderheiten und voreiligen Schlüssen, oder schlimmer noch: gegen fake news klar Position zu beziehen und gegen Populismus vorzugehen. Mein Eindruck ist, dass wir als Kirche in diesen Zeiten sogar mehr gefragt sind, wenn es um Fragen der Ethik und des Umgangs miteinander geht.

Ein wichtiges Thema ist auch der Dialog der Religionen.

Wir haben schon etliche Erfolge, nämlich einen seit Jahren gewachsenen interreligiösen Dialog in der Stadt. Das Ziel dieses Dialogs ist dabei nicht, die Unterschiede der Religionen zu nivellieren oder zu relativieren. Christen bleiben Christen, Buddhisten bleiben Buddhisten, Muslime bleiben Muslime. Mit all ihren Eigenheiten und Unterschieden. Das Ziel des Dialogs ist vielmehr, dass wir diese Unterschiede erkennen und dass wir sie aushalten. Und dass wir in den wichtigen gesellschaftlichen Fragen, etwa der Bewahrung des Friedens in der Stadt, zusammenstehen und uns nicht spalten lassen. Diese Zusammenarbeit hilft uns auch bei der Integration der Flüchtlinge und Zuwanderer.

Es scheint so, als polarisiere sich die Gesellschaft immer mehr und vor allem, als verschwinde Vertrauen.

Im Korintherbrief steht einer der schönsten Liebeslieder der Welt: Haben wir die Liebe nicht, ist alles nichts. Heißt: Wir müssen mit den Herzen auf das hören, was die Menschen bewegt. Wir brauchen Einfühlsamkeit. Menschen haben Sehnsüchte und manchmal ist das, was sie erleben, genau das Gegenteil davon. Hier ist es unsere Aufgabe, als Theologen und Seelsorgerinnen mitzugehen. Mitzufühlen. Anzuregen. Auch Meinung zu äußern im Sinne einer christlichen Ethik und  beispielsweise – ganz aktuell im Moment – Ängste zu klären. Sind sie berechtigt oder wie kann ich dagegen vorgehen? Was gibt es für Lösungsansätze, wie kann man die Spaltung überwinden?

Wie kann die Kirche da helfen?

Gerade wenn Menschen emotional sehr aufgebracht sind, braucht es Klarsicht und  die Unterscheidung, ob es dran ist zu reden und zu streiten oder Grenzen zu ziehen. Wir stehen klar gegen Gewalt und aggressives Aufrüsten, auch in den digitalen Welten. Aber die Kirche bietet immer ein Forum, in dem Diskurse stattfinden können. Ich bin überzeugt: Nur Dialog kann Spaltung überwinden. Nicht umsonst sind an Runden Tischen, in denen es um Konflikte rund um Flüchtlingsunterbringungsprojekte geht, oftmals Kirchengemeinden beteiligt. Die Theologie der Herzen muss auch hier ansetzen. Direkt im Gespräch. Ziel muss es sein, sich gegenseitig die Hand zu reichen.

Bischöfin Fehrs einmal privat: Wohin zieht es Sie in Hamburg?

 Ich gehe sehr gerne morgens laufen. Da kann ich mich prima entspannen und bin gleichzeitig in der Natur – mitten in der Stadt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Stadt?

Hamburg ist eine wunderbare Stadt, in der ich sehr gern lebe. Ich wünsche mir, dass in ihr die unterschiedlichsten Menschen ein gutes Leben leben können: mit erschwinglichem Wohnraum, einer weiterhin so vielseitigen Kulturszene, mit weltoffener Toleranz und großer Freiheit!

 

Autorin: Herdis Pabst
Titeloto: Bischöfin Kirsten Fehrs © Marcelo Hernandez / Nordkirche
Foto: Nordkirchenschiff © Nordkirche
Foto: Bischöfin Kirsten Fehrs © Marcelo Hernandez / Nordkirche

18. Oktober 2017 von Redaktion

Kategorien: Hamburg hilft, Tatkraft

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