Die Flügel-Retter

Die Piano-Werkstatt Klangmanufaktur bereitet Flügel auf. Sie arbeitet dabei nicht im Verborgenen. Sie bringt Musiker und Flügel zusammen, und auch Besucher sind willkommen: bei Generalproben und Konzerten, die direkt in der Werkstatt stattfinden.

In der Wendenstraße 255 in Hammerbrook gibt es kein Hinweisschild auf die Klangmanufaktur. Ein Flügel im ansonsten leeren Eingangsbereich zeigt jedoch an, dass sich der Besucher auf dem richtigen Weg befindet. Mit dem Fahrstuhl geht es nach oben, und dann steht man mitten in der Werkstatt der Klangmanufaktur, umgeben von Flügeln in unterschiedlichsten Restaurierungsstadien. Bei einigen glänzt der schwarze Schellack, andere beeindrucken durch feine Holzmaserungen, wieder andere stehen da ganz nackt, den Saiten und anderem Innenleben beraubt. All diese Instrumente, die allermeisten aus dem Hause Steinway, sind schon in die Jahre gekommen, einige haben die Hundert längst überschritten. Doch nach ihrer Verjüngungskur in der Klangmanufaktur erklingen sie wieder neu.

Recycling auf hohem Niveau

Fünfzehn Mitarbeiter hat das Unternehmen zur Zeit, zehn von ihnen haben viele Jahre bei Steinway & Sons gearbeitet, bevor diese Flügel-Experten mit Oliver Greinus als Geschäftsführer im Herbst 2016 ihre Klangmanufaktur eröffnet haben. In den Regalen liegen Ersatzteile, jede Menge Klaviersaiten, Dosen mit Lacken. Die wenigen Maschinen neben den vielen Handwerkzeugen werden, wie anderswo auch, nur mit Ohrenschutz bedient. Und doch ist die Atmosphäre besonders, denn hier werden Instrumente gerettet, bewahrt vor der endgültigen Ausmusterung. Durch präzise und kreative Handarbeit verhelfen die Klavierbauer den Flügeln zu einem zweiten Leben.

 

Jeder Flügel ist einzigartig

Bei jedem Flügel begeben sich die Spezialisten auf die Suche nach den individuellen Eigenschaften, erspüren die jeweilige Charakteristik des Instruments. „Das Spannende ist, dass jedes Instrument eine eigene Geschichte mitbringt und voller Überraschungen steckt. Das macht jedes Projekt einmalig. Wir haben es mit Instrumenten aus allen Jahrgängen zu tun und man kann nicht nur die Entwicklung der Steinway-Flügel über die Epochen hinweg nachvollziehen, sondern sieht auch, was andere Klavierbauer alles an den Instrumenten ausprobiert haben, im Unterschied zur Serienfertigung. In solch einem Flügel steckt wahnsinnig viel drin“, so Kay Bürger, der die Werkstatt organisiert.

Instrument und Musiker zusammenbringen

Die Klangmanufaktur ist mittlerweile viel mehr als nur eine Werkstatt. Ihr Anliegen ist, dass möglichst viele Musiker auf solch einem Steinway-Flügel spielen, auch gerade die, die sich so ein Instrument eigentlich nicht leisten können. „Der Fokus auf die Musik und damit auch auf die Pianisten ist seit Beginn an integraler Bestandteil der Klangmanufaktur. Instrumente auf diesem Niveau aufzuarbeiten, heißt auch, sich dem kulturellen Auftrag zu stellen, Steinway-Flügel dorthin zu bringen, wo exzellente Instrumente benötigt und geschätzt werden. Somit war es für uns eine logische Konsequenz, ein System zu schaffen, das Steinway-Flügel für alle finanziell zugänglicher macht“, erläutert Pierre Hellmann, zuständig für Kommunikation und Vertrieb des Unternehmens. Die Idee: Ein Kapitalanleger kauft einen generalüberholten Steinway-Flügel und stellt ihn der Klangmanufaktur zur günstigen Vermietung an Musiker zur Verfügung. Die Anleger streichen durch die Miete eine Rendite ein, die Musiker können einen Steinway spielen.

 

Eine Stiftung als Finanzierungskonzept

Für viele Musiker könnte bei Monatsmieten ab 140 Euro so ein Traum in Erfüllung gehen, zumal damit keine Abhängigkeit von einem Mäzen verbunden ist. Die meisten Investoren sind junge Selbstständige, die die Anlage als Altersvorsorge verstehen. Es gibt auch schon einige Klavierlehrer, die das Konzept nutzen. Und kleinere Veranstalter fragen nach, die sich sonst ebenfalls keinen Flügel leisten könnten. Mit der frisch gegründeten Stiftung Flügel-Fundus, bei der die Klangmanufaktur mit der Sutor Bank und der Sutor-Stiftung zusammenarbeitet, soll das Projekt noch mehr Schwung bekommen. Zum Stiftungsbeirat gehören Justus Tennie, der das Landesjugendorchester Hamburg leitet, und Kerstin Wolf, die an der Hochschule für Musik und Theater das Fach Orgel unterrichtet.

Offene Türen für Konzertbesucher

Darüber hinaus haben die Klavierbauer ihre Räume für Musiker und für Veranstaltungen geöffnet. Es gibt fünf Studios und einen Ensembleraum, die für Kammerkonzerte, Meisterkurse oder Schülerkonzerte gemietet werden können. Dort haben sich Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys Anfang März eingemietet, um ihre nächste Tournee vorzubereiten. Für größere Veranstaltungen wird auch schon mal die Werkstatt umgebaut. Interessierte haben die Möglichkeit, an Generalproben teilzunehmen, und jeden ersten Donnerstag im Monat steht ein Überraschungskonzert auf dem Programm. Der Eintritt liegt jeweils im Ermessen der Besucher. Es sind Ausflüge in die besonderen Klangwelten dieser Flügel mit ihrer faszinierenden Patina.

 

 

Autorin: Herdis Pabst
Titelfoto: Team Klangmanufaktur © Klangmanufaktur
Fotos: © Lukas Eylandt / Klangmanufaktur

20. Juni 2018 von Redaktion

Kategorien: Hamburg produziert, Unternehmenslust

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