Mein Hamburg: Bernd Rickert

Was lieben die Hamburger an ihrer Stadt – und was nicht? Was bewegt ihr Leben oder was wollen sie bewegen? Menschen erzählen über ihre Leidenschaften, Lieblingsorte und ihr Leben in unserer Metropole. Wir fragen Bernd Rickert, Vorsitzender des Vorstands der Hamburger Volksbühne

Bernd Rickert ist 1967 in die Hamburger Volksbühne, die zurzeit größte Theaterbesucherorganisation Deutschlands, eingetreten und nutzte so als Student die Möglichkeit, preiswert ins Theater zu gehen. Er hat Evangelische Theologie studiert und an einer Grundschule in Altona neben allen Hauptfächern Religion unterrichtet und seine Theaterleidenschaft an seine Schüler weitergegeben. Jedes Jahr hat er mit seinen Klassen ein Märchen oder ein selbst geschriebenes Theaterstück aufgeführt. Seit 2008 ist der inzwischen pensionierte Studienrat Vorsitzender des Vorstands der Volksbühne.

Welche Beziehung haben Sie zu Hamburg?

Ich bin gerne Hamburger. Ich wäre sicher hier geboren, wenn meine Eltern die Stadt wegen des Krieges nicht hätten verlassen müssen. So bin ich in Bielefeld zur Welt gekommen. Aber schon 1945 ist meine Mutter mit mir nach Altona zurückgekehrt. Wir haben immer in der Nähe der Elbe gewohnt. Meine Eltern pflegten zu sagen: „Man muss die Schiffe tuten hören.“ Sie haben ja noch erlebt, dass Altona eine eigene Stadt war und Othmarschen ein Dorf weit außerhalb. In gewisser Weise habe ich diese Sicht auf Hamburg übernommen. Ich habe in Altona Abitur gemacht und bin hier Lehrer gewesen. Die Hamburger Volksbühne habe ich durch meine Eltern kennengelernt, die da seit 1950 Mitglieder waren.

 

Jubilaeumsfeier im Hamburger Schauspielhaus

Gibt es typische Eigenschaften der Hamburger?

Während des Senatsempfangs zum 100. Jubiläum der Hamburger Volksbühne habe ich von Kultursenator Carsten Brosda die „Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber“ bekommen. Die Stadt würdigt also bürgerliches Engagement. Dass dies in Hamburg einerseits praktiziert und andererseits wertgeschätzt wird, ist für mich etwas Besonderes. Es gibt ja auch kaum eine andere Stadt, in der es so viele Stiftungen gibt wie in Hamburg. Die Verantwortung der Bürger für ihre Stadt finde ich eine hervorragende Sache. So habe auch ich mich mein Leben lang ehrenamtlich engagiert und in der Gesellschaft Verantwortung übernommen. Als Lehrer war man ja früher zeitlich flexibel, solange man für den nächsten Schultag vorbereitet war. Ich konnte statt am Nachmittag am Abend arbeiten und nebenbei etwas machen, was mir Spaß gemacht hat und was vielleicht aber auch für andere gut war.

 

Ehrung: Bernd Rickert (links) mit Kultursenator Carsten Brosda

In diesem Jahr ist die Volksbühne 100 Jahre alt geworden. In die Jahre gekommen ist sie aber nicht, oder?

Die Volksbühne ist am 4. Januar 1919 gegründet worden, in einer schwierigen Zeit mit großen Herausforderungen. Am 24. März 1919 fand unsere erste öffentliche Aufführung im Schauspielhaus statt. Das haben wir in diesem Jahr am 24. März mit einer Aufführung im Schauspielhaus gefeiert, auch um die Kontinuität in unserer Geschichte zu zeigen. Die Volksbühne kommt aus der Arbeiterbewegung, das Motto war und ist: Kultur für alle. Und bis heute ist der große Vorteil der Volksbühne, dass man zu verhältnismäßig günstigen Preisen alle Hamburger Theater besuchen kann. Wir haben 23.000 Mitglieder und versuchen die Menschen über eine längere Zeit an uns zu binden durch interessante Angebote und guten Service. Die Volksbühne bringt aber nicht nur Hamburger ins Theater, sondern auch Menschen aus der Metropolregion per Theaterbus, z.B. aus Norderstedt, Reinfeld, Neustadt, Garlstorf oder Wedel. In dieser Breite ist ein solcher Busservice etwas Besonderes. Nur durch Flexibilität können wir attraktiv bleiben und haben Mitglieder aus allen Kreisen der Bevölkerung.

 

Glückwünsche vom Bürgermeister (re.): Bernd Rickert (links) mit Eva Maria und Peter Tschentscher

Es hat sich ja in den hundert Jahren vieles verändert. Wie hat sich die Volksbühne darauf eingestellt?

In den Sechzigerjahren hatten wir sogar 50.000 Mitglieder. Nach dem Krieg wollten die Menschen wieder ins Theater und natürlich möglichst auch günstig. In den Jahren danach hat die Volksbühne es längere Zeit nicht geschafft, ihre Vorteile öffentlich gut zu präsentieren. Aber jetzt ist sie in der Stadt wieder sichtbar durch Plakate und besondere Aktionen, obwohl wir natürlich trotzdem auch Nachwuchssorgen haben. Junge Leute binden sich ja nicht gerne über längere Zeit. Die wollen lieber spontan bleiben. Aber die Volksbühne funktioniert wie ein Abo, allerdings für alle Theater, und ist wegen ihrer Verträge mit den Theatern auf Kontinuität angewiesen. Wir müssen wissen, wie viele Leute wir ins Theater bringen, um mit den Theatern entsprechende Abkommen treffen zu können. So sind Menschen ab 45 Jahren, wenn die Kinder aus dem Haus sind und sie wieder freier planen können, eher unsere Zielgruppe. Wir haben aber auch viele Mitglieder, die über Jahrzehnte hin dabei sind, so wie ich.

Welchen Herausforderungen muss sie sich stellen?

Das Theaterpublikum befindet sich im Wandel. Früher bekamen unsere Mitglieder Theaterstücke zugewiesen. Inzwischen haben wir eine breite Palette an Angeboten mit den verschiedensten Kombinationen von Theatern, Oper, Ballett und Konzerten. Es gibt zwar auch noch die Überraschungs-Abos, bei denen wir Stücke zusammenstellen. Heute sucht sich die Mehrzahl der Mitglieder aber lieber selber aus, was sie sehen will. Es ist für mich auch typisch hamburgisch, sich nicht alles vorschreiben zu lassen. Und es hat den Vorteil, dass man bei Missfallen einer Inszenierung nicht mehr uns, der Volksbühne, die Schuld geben kann. Das Wahl-Abo haben wir Ende der Achtziger eingeführt. Da gab es mit Aufführungen des Schauspielhauses vielfach Probleme. Unsere Mitglieder wollten manche provozierenden Inszenierungen nicht sehen, es fehlte an guter Vermittlung. Viele sind damals ausgetreten. Das ist heute ganz anders. Wir informieren in unserem Kulturmagazin und auf unserer Website über die anstehenden Premieren und erfreulicherweise bieten die Theater jetzt häufig selbst Einführungen, sodass man besser darauf vorbereitet ist, was einen erwartet. Bei „Unterwerfung“ und anderen „Rennern“ hatten wir Mühe, überhaupt genügend Karten anzubieten.

Welche Theater werden bevorzugt?

Ins Altonaer Theater, ins Ernst-Deutsch-Theater oder die Komödie im Winterhuder Fährhaus gehen unsere Mitglieder besonders gern, auch in die Kammerspiele und das Ohnsorg Theater. Die Privattheater begrüßen die Zusammenarbeit mit der Volksbühne sehr, weil sie dadurch eine wirtschaftliche Grundlage bekommen. Denn auch dort werden wegen der größeren Spontanität der Besucher viel weniger feste Abos verkauft. Es gibt gute persönliche Beziehungen zu den Intendanten. Bei den Staatstheatern ist die Situation anders. Die sind darauf nicht so angewiesen, weil die Stadt sie subventioniert. Dadurch können sie im Programm experimenteller sein. Auch hier ist die Zusammenarbeit aber sehr gut, und Oper und Ballett sind ebenfalls sehr bei unseren Mitgliedern gefragt. Besonders hat mich erfreut, dass Georges Delnon, als er die Oper übernahm, uns als ein Partner, der die Menschen ins Theater bringt, kennenlernen wollte. Das hat sonst noch nie jemand gemacht.

Welche Zukunftsperspektive haben Sie für die Volksbühne?

Wir haben uns abgeschminkt, die jungen Leute zu bekommen. Unsere Strategie ist, für alle ab der „jungen älteren“ Generation attraktiv zu sein. Da tun sich auch oft Gruppen zusammen und gehen gemeinsam ins Theater. So etwas fördern wir sehr. Perfekter Service ist das A und O! Dafür haben wir gut geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nutzen die Vorteile der EDV und des Internets. Wir haben kürzlich Kontakt mit den großen Musical-Theatern aufgenommen. Die wollen sich nun auch mehr für uns zu öffnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in der neuen Spielzeit unseren Mitgliedern endlich hier Angebote offerieren können. So müssen wir alle Chancen der breiten Kulturpalette unserer Stadt nutzen. Als ehrenamtlicher Vorstand sind wir Vertreter unserer Mitglieder, und deren Interessen versuche ich in den Mittelpunkt zu stellen. Wir wollen, dass die Menschen auch weiterhin die Chance haben, zu günstigen Preisen ins Theater, in die Oper und Konzerte zu gehen, auch in die Elbphilharmonie.

Wohin lockt es Sie in Hamburg als Privatperson?

Ich bin kirchlich sehr engagiert und war lange Zeit Vorsitzender eines Kirchengemeinderats in Altona. So zieht es mich immer wieder in die Hamburger Kirchen, in die St. Simeon Kirche, weil wir in Osdorf wohnen, und von den Hauptkirchen natürlich in den Michel, aber ich mag auch gerne die Petrikirche in der Innenstadt. Und sonst: Wenn man im Hamburger Westen wohnt, ist man natürlich am liebsten an der Elbe, von Teufelsbrück mit dem Schiff über Finkenwerder bis zu den Landungsbrücken. Oder ein Spaziergang im Jenischpark, im Hirschpark oder durch Blankenese. Das ist wie Urlaub. Da bräuchte man gar nicht wegzufahren. Obwohl ich auch das gerne tue, denn als Hamburger fühle ich mich auch anderen Orten Europas und besonders Ostafrikas sehr verbunden.

Haben Sie ein Lebensmotto, Lieblingszitat, Lieblingsschnack?

Als kirchlich engagierter Mensch lese ich jeden Morgen die Tageslosung. Seit über zweihundert Jahren gibt die Herrnhuter Brüdergemeinde jedes Jahr ein kleines Büchlein heraus, in dem Zitate aus der Bibel für jeden Tag stehen. Wenn man die liest, ist es eine Art Meditation. Und das begleitet mich durch den Tag, und sonst finde ich, dass man gern etwas von dem abgeben soll, was man selbst an Gutem zur Verfügung hat.

 

 

Autorin: Herdis Pabst
Titielfoto: Bernd Rickert bei der Jubiläumsfeier im Hamburger Schauspielhaus © Jan-Timo Schaube
Foto: Jubiläumsfeier im Hamburger Schauspielhaus 2019 © Jan-Timo Schaube
Foto: Bernd Rickert erhält Medaille von Kultursenator Carsten Brosda © Mathias Thurm
Foto: Bernd Rickert mit Peter und Eva Maria Tschentscher © Jan-Timo Schaube

24. Juli 2019 von Redaktion

Kategorien: Hamburg inszeniert, Kulturgenuss, Mein Hamburg

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